Zeitschrift für Theologie aus biblischer Perspektive • ISSN 1437-9341
Stefan Blindenhöfer, Frankfurt am Main
Verdrängen naturwissenschaftliche Erkenntnisse allmählich das Reden von Schöpfer und Schöpfung?
Druckversion (PDF) | Informationen zum Autor | Ausgabe 1/2000 |
Inhalt:
Bisweilen lassen naturwissenschaftliche Fachpublikationen und popularwissenschaftliche Darstellungen aufhorchen: Die stete Erweiterung und Vertiefung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und die heutige wissenschaftliche Welterklärung machten die Annahme eines Schöpfers und die Deutung der Wirklichkeit als Schöpfung zunehmend überflüssig.
Dieser Meinung schließen sich heutzutage nicht wenige Zeitgenossen an: Mittlerweile gebe es genügend naturwissenschaftliche Erklärungen, und da sei für einen Schöpfer kein Platz mehr. Die Methode, Gott los zu werden, ist einfach: Man konstruiert eine (Gott genannte) Größe, die man auf der Ebene der empirisch-kategorialen Kausalbeziehungen verortet, sie mit ihr dann als unvereinbar bezeichnet und schließlich ablehnt.
Der Reduzierung Gottes auf eine innerphysikalische Größe (vgl. z. B. I. Prigogine / I. Stengers, F. J. Tipler) oder evolutive Größe (vgl. z. B. E. Jantsch) folgt eine physikalistische Infragestellung Gottes (vgl. z. B. St. Hawking) bzw. eine physikalistische Verabschiedung Gottes (vgl. z. B. B. Kanitscheider). Gerade die Ausführungen Kanitscheiders, Professor für Physik und Geschichte der Philosophie, zum Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft haben in letzter Zeit für Diskussionsbedarf gesorgt. Kanitscheider, für den "die Flucht ins Mysterium nicht das Problem der Logik" lösen kann (Spektrum der Wissenschaft, 06/2000, 85), bezeichnet kurzum Gott als mit unserer kausal geschlossenen Welt inkompatibel.
Eine Wechselwirkung mit einer extramundanen Gottheit bedeute einen Bruch mit der kausalen Geschlossenheit und vollständig nomologischen Bestimmtheit der Welt, missachte thermodynamische Gesetzmäßigkeiten, das Ineinandergreifen attraktiver und repulsiver Kräfte und die Abfolge einer durchgängigen naturgesetzlichen Selbstorganisation der innerweltlichen Strukturen und Prozesse, sei mit der kosmologischen Anfangssingularität nicht in Einklang zu bringen und widerspreche quantenkosmologischen Modellen, die keinen Anhaltspunkt dafür erkennen ließen, dass der Anfangszustand des Kosmos durch eine externe Ursache aus dem Nichts hervorgerufen worden wäre (vgl. Kanitscheider, Im Innern der Natur, 1996).
Naturalistische Konzeptionen wie diejenige Kanitscheiders, die Gott zu einer kategorialen Größe unserer Welt machen und ihn aus naturwissenschaftlichen Gründen ablehnen, haben jedoch mit dem Gott der biblisch-christlichen Tradition nichts zu tun. Im Unterschied zum komplett sinnentleerten Konstrukt der physikalistischen Gottesvertreiber hält die schöpfungstheologische Reflexion fest: Das Reden von Schöpfer und Schöpfung bezieht sich keineswegs auf empirisch-kategoriale Kräfte bzw. auf das In-Gang-Setzen innerweltlicher Abfolgen von Ereignissen und Zuständen, sondern auf die (nicht-kategoriale) Grundlegung und Grundlage von allem, was ist, die solchen Prozessen als sie erst ermöglichend voraus und zugrunde liegt. Es geht um das fundamentale Begründungsverhältnis aller Wirklichkeit zu dem, ohne den nichts ist.
Grundsätzlich muss gefragt werden: Kann diese nie Vergangenheit werdende Grund-Relation überhaupt angesichts der stetig zunehmenden naturwissenschaftlichen Erkenntnis verdrängt werden? Ist es mittlerweile tatsächlich überholt, von einem Schöpfer und von Schöpfung zu sprechen?
Die Naturwissenschaften versuchen, sich in einer ganz bestimmten Weise empirischen Gegebenheiten zu nähern. Die Einordnung von Erfahrbarem in einen bestimmten wissenschaftlichen Erklärungs- und Verstehenszusammenhang ist dabei durch bestimmte Voraussetzungen, Verfahren und Zielsetzungen charakterisiert. Folgende Eigenheiten lassen m. E. dabei die prinzipiellen (nicht nur faktischen) Grenzen naturwissenschaftlichen Bemühens hervortreten:
Naturwissenschaft abstrahiert: Die (den Naturwissenschaften zugängliche) Wirklichkeit wird erfasst mit Hilfe von Abstraktionen. Diese grundsätzliche Methode verdrängt Wirklichkeit, die dabei einer Umwandlung unterliegt: Keineswegs spiegelt Wissenschaft eine an sich existierende Realität wider, vielmehr werden die Gegenstände der Erfahrung in Gegenstände wissenschaftlicher Erfahrung transformiert. Indem der Forderung nach Klassifizierung, Verallgemeinerung und Reproduzierbarkeit nachgekommen und der Versuch unternommen wird, "das Kontingente aufs Streckbrett des Gesetzlichen zu spannen" (Eisenhardt (1995) 61), wird Wirklichkeit erst einmal wissenschaftsfähig gemacht.
Naturwissenschaft versteht Natur in eingeschränkter Weise: Das abstrahierende Denken blendet bestimmte Dimensionen der Wirklichkeit aus. So wird etwa im Anschluss an Galilei Natur als das von sich aus Träge, Passive verstanden; von einem der Natur inneren Streben, von Zielen, Zwecken oder Hierarchien ist nicht mehr die Rede. Natur wird verfügbar, beherrschbar; passiv verstandene Natur kann experimentell überprüft werden.
Naturwissenschaft blendet die Sinnfrage aus: Natur wird unter quantitativer Rücksicht interpretiert, sie ist eine berechenbare (und damit auch beherrschbare und verzweckbare) und nicht eine sinnhafte Größe. Sinn ist nicht Teil eines naturgesetzlichen Prozesses und mit den Methoden der Naturwissenschaften nicht zu erheben oder zu negieren.
Naturwissenschaft bildet nicht Realität ab: Naturwissenschaften handeln von apparativer Erfahrung, ihr Gegenstand ist die Natur, insofern sie sich in Wechselwirkung an zu Messzwecken präparierten Gegenständen zeigt. Real ist nur das, was wechselwirkt.
Naturwissenschaft arbeitet mit einem bestimmten Kausalitätsverständnis: Zulässiges Verursachungsverhältnis ist weithin nur der wirkursächliche Ereigniszusammenhang. Zwar wird heutzutage die Vorstellung vom mechanisch-deterministischen Kausalnexus durch Auffassungen funktioneller, vernetzter, wahrscheinlichkeitstheoretischer Kausalität ergänzt, und in Quantentheorie und Chaosforschung vollzieht sich sogar eine Eliminierung der kausalen Terminologie, jedoch tut sich die Naturwissenschaft schwer, andere als wirkursächliche, z.B. finale Deutungen anzuerkennen, obwohl z.B. eine Angabe wirkursächlicher Größen zur Erklärung von Intentionen menschlicher Handlungen nicht allzu viel beiträgt.
Es bleibt zu konstatieren: Wirklichkeit wird durch die abstrahierende und reduzierende Vorgehensweise der Naturwissenschaft nicht in ihrer Heterogenität, Prozessualität und Lokalität abgebildet. Produziert wird eine homogene Wirklichkeit, die es so nicht gibt; gerade das aber verfehlt Wirklichkeit. Fazit in aller Kürze: Naturwissenschaftliches Bemühen erfasst und beschreibt Wirklichkeit in einer eingeschränkten Weise und kann andere Perspektiven auf die Wirklichkeit nicht allmählich verunmöglichen.
Was beinhaltet nun die Rede von Schöpfer und Schöpfung? Welche Bestimmung der geschaffenen Wirklichkeit macht jüdisch-christliches schöpfungstheologisches Denken im Dialog mit dem naturwissenschaftlichen Weltzugang, besonders in der Auseinandersetzung mit evolutionstheoretischen Interpretationen der Wirklichkeit, geltend? Welche Voraussetzungen für die Rede von einem Schöpfergott sind in den Blick zu bekommen?
Mit Schöpfung benennen verschiedene Religionen die fundamentale Grundbestimmung der Wirklichkeit als ganzer. Alles, was ist, befindet sich in einem grundlegenden Verhältnis zu Gott, in einem ständigen Gegründet-Sein im absoluten Grund, in einem einzigartigen Begründungsverhältnis zu dem, ohne den nichts ist.
Die Naturwissenschaften geben zu verstehen: Im Laufe der Evolution des Lebendigen kommt es zu einer Zunahme an Komplexität. Damit einher geht eine Zunahme relativer Unabhängigkeit der Organismen, sowohl gegenüber ihrer Umwelt als auch schließlich gegenüber ihrer genetischen Disposition. Ein organismustheoretisches Verständnis eines Lebewesens (demzufolge im Unterschied etwa zu einem physikalistischen Verständnis dieses Lebewesen eben nicht vollständig in physiko-chemische Kausalketten eingebunden ist [in die sich jede mikrophysikalische Indeterminiertheit hineinkehrt, sobald sich ein lebendes Objekt manifestiert], in denen es kein Entrinnen vom Diktat der Gene zu geben scheint, so dass das Lebewesen völlig von [äußeren und inneren] determinierenden Faktoren abhängig ist) kann die reduktionistische Beschreibungsebene verlassen und durch eine über das Einzelereignis hinausgehende Interpretation des biologischen Befundes Begriffe wie Individualität und Autonomie einführen. Es kann damit zum Ausdruck bringen: In der Evolution der Organismen gibt es eine zunehmende Emanzipation und relative Unabhängigkeit von diesen determinierenden Faktoren (vgl. zum Folgenden Bereiter-Hahn 1996).
Zunächst einmal führt die Abgrenzung von der Umgebung durch Ausbildung von Membranen oder durch Zusammenschlüsse gelartiger Aggregate und durch Ausbildung verschiedener Stoffwechselwege zur Zunahme an Unabhängigkeit der Individuen von ihrer Umwelt. Manches, was vorher Außenwelt war, wurde in den Organismus hineinverlegt. Dieser Emanzipationsweg lässt sich verfolgen etwa bei landlebenden Tieren, die ihren Ozean (als Spender von Wasser und Salzen) in sich tragen, die ihre Körpertemperatur z.T. weitgehend unabhängig von der Außentemperatur regeln können, die durch Staatenbildung Möglichkeiten der Nahrungsmittelproduktion entwickelten (z.B. Ameisen, Menschen), bei denen die Ausbildung eines zunehmend eigenaktiven Nervensystems die Abhängigkeit von momentanen Sinneseindrücken oder hormonellen Einflüssen verringert. Das freilich ist noch nicht freier Wille und individuelles Selbstbewusstsein, aber die Voraussetzung dafür (vgl. Kessler (1997) 195). So ist also der Prozess der Entwicklung zunehmender Unabhängigkeit von der Umwelt zuerst derjenige der Emanzipation von der Außenwelt, von unmittelbar wirkenden Stoffwechseleinflüssen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur relativen Autonomie der Lebewesen ist die emanzipierte Disposition zum eigenen genetischen Material. Mit zunehmender Organisationshöhe nimmt die Determiniertheit der Prozesse, die auf der Wechselbeziehung von DNA und Protein beruhen, ab; es werden gerade bei mehrzelligen Organismen neue Steuerfunktionen und -mechanismen entwickelt. Zwar sind auch diese Produkt genetischer Aktivität, jedoch wird die genetische Determiniertheit durch das jeweilige Gesamtsystem limitiert. Naturwissenschaft kann also schon auf verschiedene Freiheitsgrade innerhalb der ihr zugänglichen Funktionszusammenhänge aufmerksam machen. Gerade beim Menschen ist dann deutlich zu erkennen, dass er sich zu seinen genetischen Prädispositionen nochmals verhalten kann, keineswegs also dem Diktat seiner Gene ausgeliefert ist.
Es ist also von seiten der Naturwissenschaften möglich, von einer zunehmenden Unabhängigkeit von Organismen (von den Bedingungen seiner Umwelt und von seiner eigenen genetischen Determiniertheit) zu sprechen, von Regionen einer nicht unmittelbar genetisch determinierten Strukturiertheit und damit von Freiräumen für die Lebensgestaltung von Individuen, letztlich also von Voraussetzungen für Bewusstheit und Freiheit in der Natur (vgl. Kessler (1997) 194). Es ist möglich, davon zu sprechen, dass "im Menschen ein Teil der Natur die Fähigkeit" erlangt, "seiner selbst bewußt zu werden, auf seine Umgebung wie auch auf Prozesse in ihm selbst in bewußter, intentional gezielter Weise reagieren, also auch selbstbestimmt zu agieren" (ebd.). Im Menschen erlangt ein Teil der Natur überdies die Fähigkeit, sich zu öffnen auf das Ganze der Wirklichkeit und deren Urgrund (ebd.).
Die Naturprozesse haben ein in ontogenetischer Hinsicht unfertiges Wesen hervorgebracht, das mit sich und seiner Umgebung ziemlich schlecht zurechtkommt, physiologisch zu früh geboren wird, verletzlich, lange Jahre pflege- und erziehungsbedürftig ist. Ein Wesen, das seine Identität nicht einfach hat (wie Pflanzen und Tiere), sondern sie erst suchen und gewinnen muss, also noch nicht ist, was es sein kann. Ein Wesen, das sein Wesen partiell finden, aber auch verfehlen und darin wesenswidrig (destruktiv) sein kann. "Die Naturprozesse haben ein Wesen von unendlicher Unruhe und Unersättlichkeit hervorgebracht, das nicht nur über das jeweilig einzelne (erkannte oder erreichte) Gegenständliche, sondern auch über seinen eigenen individuellen Tod hinaus fragt und verlangt." (ebd.)
Der Mensch geht in den naturgesetzlichen Zusammenhängen nicht einfach auf, er ist das "nicht festgestellte Tier" (Nietzsche), gekennzeichnet durch Weltoffenheit. Er ist in einer ihm eigenen Weise offen für das Ganze der Wirklichkeit, immer schon über sich hinaus "fragend, suchend, neugierig ausgreifend, hoffend, fürchtend, vertrauend, interessiert usw." (ebd., 195). Für diese Offenheit gibt es im Prozess der Evolution allenfalls entfernt analoge Vorstufen.
In diesem intentionalen Aussein auf das Ganze der Wirklichkeit gründet die religiöse Dimension unseres Bewußtseins. Wo der Mensch sich in seiner grundsätzlich nicht begrenzten Offenheit annimmt und realisiert, beginnt Religion, so Rahner (Rahner, Grundkurs, 33.). Sie beginnt dort, wo der Mensch sich nicht in den Einzelheiten der äußeren Welt verliert, sondern wo ihm "die Offenheit seines Daseins in das unbegreifliche Geheimnis hinein aufgeht" (Rahner (1970) 169f.). "Das grundlegende Element des Religiösen bildet darum das Vertrauen (faith), daß dem Ganzen der Wirklichkeit eine einheits- und sinngebende ultimate reality als Urgrund und Ziel zugrunde liegt." (Kessler (1997) 196). Aus dieser Perspektive (der Wirklichkeit vor Gott / von Gott her) wird deutlich, dass der Sinn von Welt, von Natur nicht in ihr selber liegt und an ihr selbst offenbar sein kann.
In diesem intentionalen Aussein auf das Ganze der Wirklichkeit gründet auch die Freiheit des Menschen. Die evolutiv-biologischen Voraussetzungen der Möglichkeit für freie Willensentscheidungen, die uns die Naturwissenschaften erschließen können, sind Vorentwürfe (nicht Stufen) dieser Freiheit. Der Mensch, der nicht einfach nur nach dem Reiz-Reaktions-Schema verfährt, sondern offen ist für das Ganze (und somit das Einzelne bis zu einem gewissen Grad relativieren kann), kann sich zu sich selbst noch einmal verhalten, Stellung beziehen. So ist der Mensch das ethische Lebewesen, der das bloß Natürliche, unmittelbar Gegebene und Evolvierende übersteigt. Er ist das Wesen, das auch vermag, sich von einer umfassenden Ganzheit her zu verstehen, die wir Gott nennen. Eine Ganzheit, die den ganzen kosmischen Prozess als ihr Grund und Ziel bestimmt, in der wir uns immer schon vorfinden, die wir nicht verobjektivieren können, der wir uns jedoch perspektivisch annähern können. Theologisches Denken geht davon aus, dass der Mensch sich wahrhaft nicht ohne Gott verstehen kann, dass er sich vielmehr gründlich missversteht, wenn er sich ohne Gott versteht und sich (oder anderes Endliches) verabsolutiert. In theologischer Perspektive ist der Mensch der von Gott Gewollte und Geliebte, freigesetzt in die ihm als Geschöpf eigene Eigenständigkeit und Einmaligkeit (das gilt auch für Klone; keineswegs ist menschliche Identität allein durch die Gene bestimmt), der auf das abgründige Geheimnis hin Geöffnete und Verwiesene.
Wer von Schöpfung redet, versteht die Wirklichkeit als von Gott her bestimmt. Im Verständnis der Welt als Schöpfung geht es grundlegend um das Verständnis von Gott, der ultimate reality, die dem Ganzen der Wirklichkeit als Urgrund und Ziel zugrunde liegt. Was ist gemeint mit der missverständlichen Metapher Schöpfung, welches Gottes- und Wirklichkeitsverständnis ist damit angezeigt?
Von Schöpfung zu sprechen heißt, die Wirklichkeit vor Gott, also theo-logisch, zu betrachten. Mit dieser Wahrnehmung aller Dinge in ihrer Hinordnung auf Gott, mit dem Bedenken aller Dinge im Licht des Glaubens an Gott ist der Verstehensrahmen (und damit die Perspektivität) benannt, innerhalb dessen die Wirklichkeit verstanden und zur Sprache gebracht wird, zugleich aber auch die Eigenart und die Grenze des Beitrags der Theologie im interdisziplinären Dialog angegeben.
Mit Schöpfung wird das einzigartige Begründungsverhältnis zwischen der Welt im ganzen und Gott als ihrem absoluten Ursprung sowie bleibend seinsermöglichenden und zugleich innovatorisch-eschatologisch schöpferischen Grund angesprochen. Das unfassbare, unbegreifliche Geheimnis am Grund aller Wirklichkeit, das wir Gott nennen, ist in der Glaubenserfahrung Israels der Halt-gebende, Recht-schaffende und rettende Gott, fundamental zu unterscheiden von allen Götzen, verabsolutierten endlichen Größen. Er ist der, der der Glaubenserfahrung der Christen in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi endgültig offenbar wird als der eindeutig gute Gott (vgl. Mk 10,18par., Mt 7,9-11par; Lk 15,20ff), als die unbedingte, allen Menschen bedingungslos geltende, für sie unbedingt entschiedene Güte und Liebe (vgl. 1 Joh 4,8.16; Tit 3,4 u.a.). Ansätze, die Gott entweder als Gattungs- und Prädikatsbegriff für lebensbestimmende Mächte, die in und über dem Leben der Menschen walten, verwenden und damit lediglich etwas Unverfügbares, Numinoses bezeichnen, oder die philosophischem Denken entspringen und mit Gott als formalem Grenzbegriff am Ende menschlicher Denkwege arbeiten, greifen zu kurz und erreichen die Fülle des biblisch-theologischen, personalen Gottesverständnisses nicht. Gott ist vielmehr das unbegreifliche, alles umfassende, allem innerliche und sich zuwendende Geheimnis, der Ich bin da (Jahwe), in dem die Wirklichkeit Bestand hat, der sich ihr unverwechselbar zusagt, sie trägt und mit ihr leidet, ihr sich aber entzieht und der Unverfügbare bleibt. Von diesem Gott, so kann Luther sagen, soll man sich erhoffen alles Gute und Zuflucht nehmen in allen Nöten; diesem lebendigen Gott kann man von Herzen trauen und glauben und sich verlassen (vgl. Luther (1529) 132).
Dieser Gott, der sich den Menschen in Jesus Christus und damit allem Geschaffenen zuwendet, hat aus der Fülle seiner Güte die von ihm verschiedene, eigenständige Welt geschaffen. Sie ist als ganze von Gott hervorgebracht, restlos von ihm herkünftig und zugleich radikal von ihm verschieden, freigesetzt in ihre eigene Kreatürlichkeit, in ihre Eigenwirklichkeit. Alles, was ist, ist nur von Gott her; alles wird überhaupt nur von Gottes Gegenwart im Dasein gehalten. Gott allein ist der letzte Bezugspunkt, an dem Menschen sich festmachen dürfen, weil er allein absolut verlässlich ist; alles bezieht von Gott her sein ganzes Sein, seine Kraft und besitzt gerade so eigene Würde, Selbstwert und Güte (vgl. Kessler (1990) 50f.). Alles, was ist, ist fundamental begründet von Gott. Wer von Schöpfung redet, der nimmt die Wirklichkeit im Licht ihres einzigartigen Verhältnisses zu ihrem Begründer wahr: im Licht der schöpferischen Liebe Gottes, der sich alles Geschaffene verdankt.
Wie aber ist von Gott zu reden? Jedes Reden über Gott, über die grundlegende Beziehung alles Geschaffenen zu Gott, muss sich bewusst sein, über seinen Gegenstand nicht einfachhin zu verfügen. "Zwischen dem von uns (in Gottesbildern) vorgestellten und (in Begriffen) gedachten Gott und dem wirklichen Gott ist immer ein Unterschied." (Kessler (1997) 403). Gott ist übergegenständlich, das nicht auf einen Begriff zu bringende Geheimnis. Dennoch lässt sich an der Grenze zum Schweigen von Gott sprechen: nicht objektivierend, neutral, aus der Distanz, vom Standpunkt eines unbeteiligten Betrachters, sondern aus existentieller Betroffenheit und damit aus einer Relation heraus. Die Rede von Gott ist nicht möglich ohne die Rede von der eigenen Existenz (und der anderen Existenzen und der Natur, deren tragender Lebensgrund derselbe Gott ist). In der Sprache der Betroffenheit kann Gott zur Sprache kommen "als der die Not des Menschen Wendende, den Menschen für sich und seinen Willen in Anspruch Nehmende" (Schneider (1991) 24).
Gerade in den Erfahrungen der Endlichkeit und Vergänglichkeit, des rätselhaften Woher, aber auch in den Wahrnehmungen der Schönheit und Geordnetheit des Kosmos liegen die bedrängenden Fragen, die nach religiöser Daseinsorientierung rufen und auf die der Schöpfungsglaube antworten möchte. Menschliche Rede von Gott, die ausgeht von Erfahrungen endlich-geschöpflicher Wirklichkeit, um überhaupt etwas vom unendlichen Gott sagen zu können, hat ihr Maß an der geschaffenen Wirklichkeit. Die Begriffe und Bilder der begrenzten menschlichen Rede erfassen die Wirklichkeit Gottes nicht, sondern verweisen nur auf sie, deuten auf das gemeinte Unnennbare hin und werden so zu Metaphern (vgl. Kessler (1996) 201). Metaphorisches, übertragendes Reden, (sich) überschreitende Sprache, die auf neue Sinnzusammenhänge bildhaft anspielt, ist das Gott entsprechende Reden, auf das das systematisch-begriffliche Reden von Gott zur Ergänzung und Grundlegung angewiesen ist (vgl. u. a. Ackva (1994) 6076). Von Gott in Bildern, Symbolen, Metaphern reden nimmt die Unangemessenheit menschlicher Rede mit ihren begrenzten Vorstellungsinhalten und Erfahrungen ernst. Bildhafte Rede von Gott ist zugleich perspektivisch, veranschaulicht einen begrenzten Aspekt an ihm. Von daher bedarf es pluraler und komplementärer Bilder, um sich dem unermesslichen Geheimnis Gott anzunähern. Und es bedarf der Weiterentwicklung und der Diskussion der Schöpfungslehre und auch des Schöpfungsbegriffs: Beide bilden sich in komplexen geschichtlichen Interaktionsvorgängen aus und sind an jenem beweglichen Schnittpunkt angesiedelt, wo der Schöpfungsglaube den je konkreten Weltbildern und Lebenswelten begegnet und die "je vorhandenen Weltbilder, Anschauungsformen und Denkmöglichkeiten und die darin mitgegebenen kontextuellen Fragestellungen, die situativen Herausforderungen und die kategorialen Explikationsmöglichkeiten für den Auslegungsvorgang und die Auslegungsergebnisse konstitutiv" sind (vgl. Seckler (1998) 189; Hervorhebung im Original).
Der Urgrund- und Transzendenzaspekt: Der biblisch-christlichen Erfahrung erschließt sich Gott zum einen als der transzendente, alles umfassende und tragende Urgrund. In ihm hat alles Kosmische Platz, kommt in ihm immer schon vor. Metaphern wie etwa Ozean / Meer, Schoß, Raum, Horizont, All-Eines, kosmischer Tanz etc., aber auch Moloch sprechen die unendlich aufgespannte Weite Gottes an. In der Geschichte Jesu erweist sich dieser Urgrund als eindeutige Güte oder unbedingte Agape. Jesus lädt ein, dem Urgrund der Wirklichkeit als dem "guten Vater" zu vertrauen, und die christliche Tradition meint mit "Vater" diesen "Ursprung ohne Ursprung" (Konzil von Florenz, 1442), den sie auch in mütterlichen Metaphern anvisieren kann (vgl. Klemens von Alexandrien; Konzil von Toledo 675) und als freien, liebenden Grund der Welt bekennt.
Der personale oder Beziehungsaspekt: In Metaphern wie Herr, Hirt, König, Vater, etc. kommt ein weiterer Grundaspekt zur Sprache, der "in personal-geschichtlichen Erfahrungen des Angesprochen-, Beansprucht-, Befreit- oder Bejahtseins" (ebd., 203) aufleuchtet. Gemeint ist: das göttliche Geheimnis, das alle Wirklichkeit in unergründlicher Transzendenz umfängt, meldet sich "zugleich als ein absolut freies Du, das uns (vermittelt durch kreatürliche Zeichen: Dinge, Träume, Menschen, zumal Jesus) anspricht und sich für uns ansprechbar macht" (ebd.). Gott will Beziehung, er ist Beziehungsreichtum. Gott erweist sich in dieser Erfahrung nicht als ein "räumlich-äußerlich-gegenständliches Gegenüber", sondern als (meta)personales Du, der aus seiner Transzendenz (und Immanenz) heraus seine Nähe gewährt und den kosmischen Prozess dialogisch begleitet. Solches liebendes Du vermag auch dann und dort etwas anzufangen, wo die Möglichkeiten der Welt am Ende sind (z.B. im Tod des einzelnen) (vgl. ebd., 204).
Der energetisch-mystische oder Immanenzaspekt: Für den dritten Grundaspekt, in dem sich Gott der biblisch-christlichen Erfahrung erschließt, stehen Metaphern wie Atem, Lebenskraft, (Heiliger) Geist, Seele, atman-brahman, Gnade, Gefäß, Wohnung. So wie in der alltäglichen Erfahrung die Luft in mich einströmt und mich als Lebenskraft belebt, ich Leben also als Gabe eines Fremden, mir Äußeren entdecke, so belebt und durchpulst Gottes Atem alles, was ist. Seine schöpferische Lebenskraft ergreift Menschen, inspiriert, verwandelt sie, führt sie über sich hinaus, erneuert das "Gesicht der Erde" (Ps 104,30) und schafft aus Totem neues, ewiges Leben (z.B. Ez 37,14; Röm 8,11). M. a. W.: In dieser Immanenzerfahrung erschließt sich Gott als der allen Wesen zuinnerst Immanente (Thomas von Aquin), der "mir innerlicher als ich mir selbst" ist (Augustinus), der "in uns drinnen ist und wir draußen" (Meister Eckart). Gott ist also als der Transzendente und als personales Gegenüber zugleich in allen geschaffenen Wesen zuinnerst präsent, im Menschen jedoch noch einmal in besonderer Weise, denn in den Menschen will er Wohnung nehmen, bewusst eingelassen werden.
Die drei für das christliche Gottesverständnis und damit für die Rede von Schöpfung und Schöpfer komplementären und unverzichtbaren Grundaspekte ermöglichen es, im theologischen Begriff der Schöpfung drei Ebenen (Dimensionen) zu unterscheiden.
Die transzendental-fundierende Ebene: Auf dieser Ebene ist Schöpfung zu verstehen als absolute und dauernde Seinsbegründung von Welt überhaupt. "Es geht hier nicht um eine Erschaffung nur am Anfang (in initio: bloße Initialzündung in der fernen Vergangenheit), sondern um den Anfang im prinzipiellen Sinn der Begründung (in principio), um das nie zur Vergangenheit werdende unmittelbare Schöpferwirken Gottes, also um eine Aussage im Präsens. Es geht um das ständige Gründungsgeschehen und Begründungsverhältnis zwischen dem, was ist bzw. werden und sein kann, und seinem tragenden Grund (dem unbewältigbaren Geheimnis Gott), also um das Wunder des Seins und Werdens überhaupt." (ebd., 214). Schöpfung ist in diesem Sinn nicht auf eine Erschaffung einer statisch fertigen Welt am Anfang zu verengen, vielmehr ist die bleibende Herkünftigkeit i. S. einer ständigen Gegründetheit der Welt und des Weltprozesses in seinem ermöglichenden Urgrund angesprochen. Gott ist als unbedingter Totalurheber der Welt in allem Geschaffenen auf transzendentale, und nicht auf gegenständliche Weise, präsent.
Gott als der absolute Ursprung und bleibend transzendentale Grund ist Urquell allen Seienden und Lebendigkeit, er schafft aus nichts. Das zur Veranschaulichung von Gottes schöpferischer Tätigkeit verwendete Modell menschlich-schöpferischer Tätigkeit, dem die Qualifikation aus nichts beigegeben wird, wobei aus hier jedoch nur grammatikalisch, nicht logisch funktioniert, da gerade kein vorgängiges Material angegeben wird, macht deutlich, dass Gottes Schaffen voraussetzungslos und deshalb auch durch nichts begrenzt ist. Damit wird ausgedrückt: Gott hat "durch seine absolut freie Alleinwirksamkeit die Welt überhaupt ihrem gesamten Sein nach begründet ; die Welt ist in ihrer Totalität, also restlos, Schöpfung" (ebd., 216). Die Welt ist frei gesetzt und begründet aus Gottes überfließender Fülle, für ihn gibt es weder eine äußere noch innere Notwendigkeit, die zur Schöpfung führen müsste. Er gibt "Raum" für das von ihm Verschiedene und setzt es in seine Andersheit und Eigenwirklichkeit hinein frei. Das heißt konkret: Gott braucht die Welt nicht, um er selbst sein zu können, aber er will die Welt, "weil er Mitliebende will" (Duns Scotus). Darin lässt er sich "auf den risikoreichen Weg der Welt" ein, lässt sich von dem (zuweilen auch leidvollen) Verlauf des Weltprozesses betreffen (ebd., 217).
Der transzendental-begründende Schöpfungsvorgang (creatio), der auf der hier besprochenen Ebene des Schöpfungsbegriffs zur Sprache kommt, ist nicht Gegenstand sinnlicher Anschauung und empirischer Wissenschaft. Sinnliche Anschauung und Empirie haben die Welt zum Gegenstand, nicht aber ihre bleibende gründende Relation zu Gott. Von Schöpfung i. S. des ursprünglich-dauernden Begründungsverhältnisses, von der transzendentalen Bestimmung der Welt, worüber nur in verweisender Sprache gesprochen werden kann, können naturwissenschaftliche Theorien prinzipiell nichts wissen.
Die empirisch-kategoriale Ebene: Im Unterschied zur transzendentalen Ebene mit der absoluten Letztbegründung von Welt überhaupt geht es bei dieser Dimension im Schöpfungsbegriff um das fortwährende Schöpferwirken Gottes am Geschaffenen und durch es. Die Rede ist von der creatio continua: Innerhalb der von ihm begründeten und im Sein gehaltenen Welt wirkt Gott kontinuierlich, und zwar vermittelt durch die natürliche Eigendynamik der von ihm geschaffenen Kräfte. Sein Wirken ist dergestalt, dass er das eigenständige Wirken der Geschöpfe ermöglicht und sie in die autonome Eigenaktivität immer neu freisetzt. Diese göttliche (transzendentale) Ermöglichung des geschaffenen (kategorialen) Evolutionsprozesses hat Rahner mit dem Begriff der "aktiven Selbsttranszendenz" bezeichnet. In der Relation zu Gott sind die Geschöpfe etwas Gott gegenüber Eigenes und (kategorial) Eigenständiges.
Auf dieser Ebene können die Theorien der Evolution oder der Selbstorganisation in den Blick kommen. Naturwissenschaftlichen Evolutionstheorien geht es (formal) ebenfalls um relative (nicht absolute) Ursprünge, um relative Ursprünge komplexer materieller Seinsformen aus schon vorausgesetzten anderen, einfacheren Seinsformen. Insofern beziehen sich hier beide Disziplinen, von zwei verschiedenen Seiten her gesehen, auf dieselbe Sache. Hier also ist der Ort des Dialogs, hier ist das Verhältnis des Schöpfungsglaubens zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaften zu bestimmen.
Die theologal-eschatologische Ebene: Schöpfung besagt nicht nur ein Ermöglichen und ein Entfalten dessen, was in der Werde-Welt schon angelegt ist. Schöpfung hat ein Ziel: Es geht um ihre Vollendung, darum, dass Menschen ihre prinzipielle Geöffnetheit auf Gott dialogisch realisieren, sich ihm öffnen, damit Gott in ihnen Raum finden und seine Güte auf der Welt herrschen kann. Hier haben wir es also mit der (den Evolutionsprozess prinzipiell überschreitenden) "innovativ-eschatologische[n] Ebene eines erlösten Menschseins schon mitten im kosmischen Prozeß und einer heilvollen Vollendung dort, wo dessen Möglichkeiten am Ende sind ...", zu tun (vgl. ebd., 188). Gott will die Erlösung und das Heil der ganzen Schöpfung, er will mit seiner unbegrenzten Lebensfülle der Schöpfung einwohnen und sie an dieser Fülle teilnehmen lassen (vgl. Offb 21,15; 22,15; 1 Kor 15,28; Röm 8,1923). "Auf diese Fülle universaler Güte als Sinn des Ganzen sind der gesamte kosmische Prozeß und alle Geschöpfe hingeordnet." (ebd., 231, mit Verweis auf Thomas von Aquin, STh I, 47,1 u. ö.)
Welche Konsequenzen für ein christliches Verständnis der Wirklichkeit hat die ihr zugrunde liegende und sie bestimmende ultimate reality? Welche Grundlinien lassen sich mit den eben skizzierten Differenzierungen im Schöpfungsbegriff zunächst benennen?
Die vorgestellte Schöpfungsperspektive überwindet sowohl dualistische und deistische als auch monistische und pantheistische Reduktionen: Gott und Welt wird nicht als bloßes Gegenüber und nicht als reine Identität, sondern in differenzierter Beziehung gesehen. Gott und Welt (All, Kosmos, Natur, Mensch) sind zu unterscheiden, was nicht heißt, sie zu trennen. Gott ist von der Welt verschieden, transzendental anders als sie, sie transzendental umfangend, deswegen ihr immanent (ohne etwas kategorial zu verdrängen) und zugleich ihr und allen Geschöpfen als ihr Du gegenüber, ohne ihnen äußerlich zu bleiben. So sind "Welttranszendenz, Weltimmanenz und die intrinsisch-freie Beziehung der Liebe drei zusammengehörige Seiten der Göttlichkeit Gottes, die ent-sprechend drei komplementäre Perspektiven auf den Kosmos zur Folge haben" (ebd., 205f.):
Der gesamte kosmische Prozess geschieht in Gott: Die gesamte Schöpfung ist von Gott begründet, stets von ihm umspannt. Es gibt letztlich kein Außerhalb Gottes (vgl. Apg 17,27f.). Zugleich gibt der göttliche Urgrund, der die eindeutige, unbedingte Güte ist, "allem Welthaften einen sehr bestimmten Rahmen", einen unerschütterlichen Bezugspunkt, Sinnhorizont, das entscheidende Maß und Ziel (vgl. ebd., 206).
Gott gibt die Geschöpfe in ihre relative Eigenständigkeit hinein frei: Durch diese liebende Freigabe haben die Geschöpfe die ihnen eigene geschöpfliche Würde. Gerade der Mensch hat diese Würde aller Kreatur zu achten und zu respektieren. In der skizzierten Schöpfungsperspektive haben alle Geschöpfe nicht bloß Funktions- und Nutzwert, sondern eigenen Seinswert. Zugleich vermag das in Eigendynamik und Selbstzwecklichkeit hinein Freigesetzte Wege zu beschreiten, die sich gegen Gott richten, andere Mächte für sich gelten lassen.
Differenzierte Präsenz und Immanenz Gottes im Kosmos: Dieser für den christlichen Schöpfungsglauben unverzichtbaren Dimension zufolge ist Gott im Kosmos und in jedem Geschöpf präsent, er "erfüllt Himmel und Erde" (Jes 6,3; Jer 23,24; Num 14,21), sein Geist "erfüllt das All" und "durchwaltet es voll Güte" (Weish 1,7; 8,1; Ps 33,5), er durchdringt die Welt wie die Seele den Leib. Aufgrund der Immanenz Gottes in den Dingen sind sie nicht bloß diese Dinge (Tiere, Pflanzen, Steine, Elemente), sondern verweisen real-symbolisch auf ein Mehr, können auf Gott hin transparent und in unterschiedlicher Deutlichkeit zu Zeichen und Zeugen Gottes werden (vgl. ebd., 209). Gerade im Menschen kann Gott darüber hinaus noch auf eine andere Weise präsent werden, nämlich soweit sie ihn mit seiner Güte in sich einlassen. "Im Maße dies geschieht, würde die Welt zum Raum der Herrschaft (der Güte) Gottes, zum Reich Gottes." (ebd., 210).
Mit der Rede von Schöpfer und Schöpfung wird eine Dimension der Wirklichkeit zur Sprache gebracht, die nicht Gegenstand naturwissenschaftlichen Bemühens und damit evolutionstheoretischer Deutung ist. Sie entzieht sich naturwissenschaftlichem Bemühen, kann aber deswegen nicht einfach wegerklärt werden.
Die evolutionstheoretische Deutung der Weltwirklichkeit ist eine Möglichkeit, die kausal-genetischen Zusammenhänge der Wirklichkeit erkennen zu lassen. Es geht hierbei um den dieser Deutung zugänglichen Teilaspekt der Wirklichkeit und nicht um die Wirklichkeit überhaupt. Innerhalb ihrer Grenzen befassen sich die Naturwissenschaften mit bestimmten Aspekten der ihren Methoden zugänglichen Phänomene des kosmischen Prozesses und verstehen dabei Evolution als ein integratives Konzept zur Wahrnehmung und Deutung von Transformationsprozessen. Auf der empirischen Ebene versucht das evolutionstheoretische Denken, die Abstammungs- und Funktionszusammenhänge zu erfassen und trifft Aussagen über die Entwicklung von Seinsformen aus bereits vorausgesetzten Seinsformen. Naturwissenschaftliches Bemühen ist ein möglicher Zugang zur Wirklichkeit unter anderen. Es erfasst bestimmte Aspekte an der Wirklichkeit, indem es von dazu komplementären Aspekten abstrahiert, es betrachtet Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive, wobei das jeweilige erkenntnisleitende Interesse die Wahl der methodischen Vorgehensweise bestimmt. Damit aber kommt Wirklichkeit keineswegs umfassend in den Blick. Die durch die evolutionstheoretische Fragestellung und Deutung der Wirklichkeit eröffnete Perspektive hat es mit dem für diese Fragestellung und Deutung relevanten kausal-genetischen Aspekt der Wirklichkeit zu tun und blendet notwendig andere Dimensionen der Wirklichkeit aus, die freilich nicht durch die Erweiterung von Evolution über ihren Geltungsbereich hinaus wieder eingeholt werden können, weil solche Erweiterung nicht mehr dem begrenzten Bereich der Fachdisziplin entstammt bzw. diese dann unberechtigt totalisiert ist. Für das Reden von Evolution heißt das, dass Evolution im Theoriekontext der Naturwissenschaft seinen Platz und seine explanative Adäquanz hat, nicht aber die Grundverfasstheit der Wirklichkeit als ganzer ansprechen kann.
Der theologischen Deutung von Wirklichkeit geht es gerade um diese Grundverfasstheit, um die fundamentale Bestimmung des Ganzen durch dessen Grund. Theologisches Denken versteht Welt und Mensch als Schöpfung. Die Perspektive, die damit eröffnet ist, sieht alle Wirklichkeit in ihrer Beziehung zu Gott. Für diese Deutung relevant ist nicht ein bestimmter Teil der Wirklichkeit, sondern die gesamte Wirklichkeit aber: in ihrer Hinordnung vor Gott, also theologisch, betrachtet. Schöpfungstheologisch gedeutete Wirklichkeit ist Antwort nicht auf die Suche naturwissenschaftlich relevanter Verursachungs- und Funktionsverhältnisse innerhalb der Wirklichkeit, sondern auf die Frage nach dem letzten Sinn und dem letzten Beständigen und Halt-Gebenden, nach dem bleibenden Grund und der letzt-umfassenden Realität von allem, was ist. Das schöpfungstheologische Denken bezieht sich unter anderem auch auf den der naturwissenschaftlichen Vernunft zugänglichen Aspekt der Wirklichkeit, jedoch vor Gott betrachtet, und spricht von einem kontinuierlichen Schaffen Gottes am bereits Geschaffenen. Aber schöpfungstheologisches Denken geht weiter und tiefer: Es stellt auch die philosophisch-metaphysische Frage nach dem "Warum" des Gesamten, nach dem alles umfassenden und selber unumfassbaren Urgrund aller Wirklichkeit und erreicht hierbei die transzendentale Ebene, auf der es um die Bedingung der Möglichkeit für alles Gegebene und damit auch für Prozess und Evolution und für unser Erkennen geht. Diese Dimension der Wirklichkeit, nämlich das einzigartige Begründungsverhältnis zwischen allem, was ist, und dessen seinsermöglichenden Grund, kann evolutionstheoretisches Denken nicht erreichen. Erst recht nicht davon wissen, dass worauf christlicher Schöpfungsglaube aufgrund der Erfahrung mit Jesus von Nazareth setzt Gott selbst mit seiner unbegrenzten, allen unbedingt geltenden Güte und Liebe seiner Schöpfung entgegenkommen, selbst mit seiner unbegrenzten Lebensfülle in ihr einwohnen und sie durch das Teilnehmen-Lassen an seinem Lebensreichtum heil machen will.
Es ist deutlich zu sehen: Im Unterschied zum Weltzugang der Naturwissenschaft, die den Funktionszusammenhang endlich-kategorialer Ursachen untersucht (und in der Kosmologie beispielsweise bis zu notwendigen physikalischen Ursprungsbedingungen des Kosmos zurückfragt), und im Unterschied zum philosophisch-metaphysischen Weltzugang, der letztlich die Kontingenz der Welt bedenkt und rational-logisch nach deren zureichendem Grund fragt, ist der Weltzugang des Schöpfungsglaubens eine umfassend-transzendentale Perspektive auf die Welt und auf alles in ihr im Horizont einer ganzheitlich-personalen Beziehung zu Gott. Die Schöpfungsperspektive integriert beide Perspektiven des naturwissenschaftlichen und philosophischen Weltzugangs und übersteigt sie, indem sie, orientiert am umfassenden Sinnzusammenhang, der in der biblischen Offenbarungsgeschichte aufleuchtet, das Grundverhältnis von Gott und Welt und damit das ganze christliche Wirklichkeitsverständnis reflektiert.
Schöpfung, der Gott einwohnen will, besagt heilsame Lebensgemeinschaft von Natur und Mensch mit Gott, eine Dimension, die ebenfalls nicht durch den Begriff der Evolution mitgedacht werden kann. Menschen agieren nicht nur als Teile der Werde-Welt, sind nicht nur Elemente des Weltprozesses, sondern können sich auf alle Wirklichkeit und auf den Grund aller Wirklichkeit hin öffnen, können Gott Raum geben und so vielmehr zu Medien des Heilswillens Gottes werden. Gott selbst aber davon ist christlicher Schöpfungsglaube überzeugt kann letztlich auch dort Neues wirken, wo Natur und Menschen am Ende sind: Im Tod endgültig Neues schaffen, das kann der Naturzusammenhang nicht. So ist mit "Evolution" keineswegs alle Wirklichkeit erklärt. Naturwissenschaftliches Bemühen kann die Rede von Schöpfer und Schöpfung nicht verdrängen oder ersetzen. Was dadurch verdrängt werden kann, ist kein Schöpfergott, sondern sind allenfalls verabsolutierte endliche Größen, verkürzte und verstellte Gottesbilder oder ungenügende Hypothesen.
Schöpfungstheologisches Denken geht davon aus und nimmt ernst, dass die Wirklichkeit mehrdimensional ist und einen Pluralismus der Perspektiven und eine Komplementarität der Auslegungsweisen erfordert (vgl. ebd., 192), soll der Versuch des Menschen, sich selbst in seiner (Lebens-)Welt zu verstehen, gelingen. Der Mensch, der in seinem bloßen Vorhandensein und im Vollzug der Bedingungen seiner (biologischen) Erhaltung nicht einfach aufgeht, sondern vielmehr fragend und sinn-suchend über sich und seinen Tod hinaus verlangt und ausgreift auf das Ganze der Wirklichkeit, ja prinzipiell für es geöffnet ist, fragt nach dem Sinn und dem Grund der Wirklichkeit, nach dem Sinnhorizont und dem Sinnzusammenhang, zu dem auch das Destruktive und Tödliche gehört. Der Mensch fragt über die Angaben der Gesetzmäßigkeiten, die die Naturwissenschaften auf den verschiedenen (physikalischen, chemischen, biologischen) Ebenen anbieten, hinaus nach dem dem Ganzen der Wirklichkeit zugrunde liegenden Urgrund und Ziel, weil er sich gerade nicht als einer erfährt und versteht, der nur nach dem Reiz-Reaktions-Schema handelt oder auf seine genetischen Prädispositionen und naturalen Anlagen festgelegt ist, sondern sich noch einmal dazu verhalten kann, worin ein unhintergehbares Moment menschlicher Freiheit liegt. Der Mensch übersteigt damit das bloß Natürliche, unmittelbar Gegebene, Evolvierende und sucht sich im Zusammenhang eines größeren Ganzen der Wirklichkeit zu verstehen.
Schöpfungstheologisches Denken thematisiert die von Gott in ihre endliche Eigenständigkeit hinein freigesetzte Welt und ihre bleibende Gegründetheit in Gott, und es bringt die prinzipielle Geöffnetheit des Menschen auf dessen eigene letzte Bestimmung zur Sprache. Es sieht seine eigene Begrenztheit: Etwas Gott gegenüber Eigenes und Eigenständiges kann auch theologisch nicht umfassend beschrieben werden, es kann nicht nur aus der Perspektive aller Dinge vor Gott betrachtet werden, vielmehr sind auch andere Wissenschaften notwendig. Schöpfungstheologisches Denken sieht aber auch die Begrenztheit anderer, etwa naturwissenschaftlicher Zugänge zur Wirklichkeit. "Wenn man religiös-theologisch ernsthaft von Gott, seinem Wirken und somit von einer (letztlich und transzendental) von Gott bestimmten Wirklichkeit ausgeht, dann können religiös-theologisch gesehen alle physikalischen, biologischen, psychologischen, historischen und eben auch (perspektivisch-endlichen!) theologischen Aussagen über unsere Welt und uns selbst insgesamt nur als Momente innerhalb dieser umfassenderen Realität (nämlich innerhalb der von Gott bestimmten Wirklichkeit) wahrgenommen werden." (ebd., 193). Naturwissenschaften und (Schöpfungs-)Theologie sind verschiedene Zugänge zur vieldimensionalen Wirklichkeit, ihre Deutungen verhalten sich komplementär zueinander und sind aufeinander angewiesen, stellen Deutungen derselben Wirklichkeit auf verschiedenen Erkenntnis- und Begründungsebenen dar (vgl. Primas (1992) 515).
Eine Deutung der Wirklichkeit, die ihren Ausgang, ihr Maß und ihr Ziel an der alles begründenden und eschatologisch bestimmenden Wirklichkeit Gott hat, sprengt die empirischen Gegenstände und die Wissensdimensionen der Naturwissenschaften auf in deren eigene Radikalität und Tiefe hinein und vermag von dieser alles begründenden und eschatologisch bestimmenden Wirklichkeit her alle Welt nochmals neu zu sehen (vgl. Kessler (1997) 386.402). Schöpfungstheologisches Denken stellt sich damit gegen ein reduktionistisches Verständnis von Welt und Mensch, dagegen, dass Welt und Mensch auf die Dimensionen des Berechenbaren, Funktionalen, Instrumentell-Zweckrationalen, Technischen schrumpfen und in ihnen vollends aufgehen. Es lässt vergessene und ausgeblendete Dimensionen zur Sprache kommen. Darin, dass in einer solchen Sichtweise die Welt als eine in ihre Eigendynamik hinein freigesetzte Werde-Welt, die nicht ohne Gott gedacht werden kann, und der Mensch als ein auf die letzte Realität hin offenes und verwiesenes Wesen zur Sprache gebracht werden kann, liegt das Mehr des Denkens und Redens von Schöpfer und Schöpfung gegenüber naturwissenschaftlich-evolutionstheoretischem Denken. Welt und Mensch, als Schöpfung verstanden, sind um wichtige Dimensionen reicher als der den Naturwissenschaften zugängliche Teilbereich der Wirklichkeit. Schöpfungstheologisches Denken vermag eine vieldimensionale und beziehungsreiche Wirklichkeit zu bedenken, die einem vertieften Verständnis von Welt und Mensch gerecht wird und von dem aus ein weitergehender Dialog der Fachdisziplinen untereinander und ein erneuerter verantwortlicher Umgang des Menschen mit seiner Mit-Welt und sich selbst möglich wird (vgl. Kessler (1990) 52).
Originaladresse:
http://www.bibfor.de/archiv/00-1.blindenhoefer.htm