Zeitschrift für Theologie aus biblischer Perspektive • ISSN 1437-9341
Andreas Leinhäupl-Wilke, Sendenhorst
Nachtrag zu einer wissenschaftlichen Exkursion
Informationen zum Autor | Ausgabe 1/2000 |
Inhalt:
Als Mose sie ausschickte, um Kana erkunden zu lassen, sagte er zu ihnen: "Zieht von hier durch den Negev, und steigt hinauf ins Gebirge! Seht, wie das Land beschaffen ist und ob das Volk, das darin wohnt, stark oder schwach ist, ob es klein oder groß ist; seht, wie das Land beschaffen ist, in dem das Volk wohnt, ob es gut ist oder schlecht, und wie die Städte angelegt sind, in denen es wohnt, ob sie offen oder befestigt sind und ob das Land fett oder mager ist, ob es dort Bäume gibt oder nicht. Habt Mut, und bringt Früchte des Landes mit! Es war gerade die Zeit der ersten Trauben." (Num 13,17-20)
In der Zeit vom 20. September bis 4. Oktober 1997 unternahm ich mit dem Seminar für Zeit- und Religionsgeschichte des Neuen Testaments der Uni Münster unter dem Motto 'Das Buch - das Land - die Reise' eine Exkursion in das Land der Bibel. Die Motivation für eine solche Unternehmung bestand darin, eine Symbiose zu schaffen zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch exegetischer Arbeit unter zeit- und religionsgeschichtlicher Perspektive und der Verortung solcher theologischer Studien durch konkrete eigene Erfahrungen und Begegnungen. Für die Umsetzung dieses Vorhabens fand ich in den eigenen Reihen des Seminars schnell eine kompetente und israelerfahrene Vorbereitungscrew: Gemeinsam mit Jesaja Michael Wiegard, der zusammen mit mir v.a. für den organisatorischen Ablauf der Reise verantwortlich war, sowie Kerstin Urbanski und Anne Sand, beide Spezialistinnen für archäologische Wegweisungen, entwickelte ich einen Reiseplan, der durch sein Angebots- und Anforderungsprofil dem gesteckten Ziel gerecht werden sollte.[ 1 ]
Wir hatten uns und die dreißig Teilnehmerinnen und Teilnehmer (unter ihnen natürlich auch unser 'Chef' Prof. Karl Löning) gut vorbereitet: In dem der Exkursion vorausgehenden Sommersemester fand ein Hauptseminar statt, in dessen Verlauf wir uns (1) einen grundlegenden Überblick über Methodik und Terminologie archäologischen Arbeitens verschafften,[ 2 ] das (2) einen groß angelegten Durchgang durch die vieldimensionale Zeit- und Religionsgeschichte Israels bot[ 3 ] und in dem schließlich (3) die poltische, kulturelle und religiöse Situation des modernen Staates Israel thematisiert wurde.[ 4 ]
Die Grobstruktur der Reise bestand aus zwei große Teilen: In der ersten Woche waren wir im Austrian Hospice zu Gast, einem zentralen Standort in der Jerusalemer Altstadt, von dem aus die für unser Anliegen wichtigsten Stätten innerhalb der Stadt und in ihrer näheren Umgebung sowie einige wichtige Punkte im Süden Israels gut erreichbar waren. Für den zweiten Teil hatten wir die wunderbare Oase Tabgha am See Genesaret zu unserem Basislager gemacht; von hier aus waren die besonders interessanten Orte im Umfeld des galiläischen Meeres sowie der Norden und Westen des Landes ansteuerbar.
Das Prinzip der Reise folgte der Grundkonzeption des lukanischen Doppelwerkes: Unter dem Motto 'Reisen und Reden' schafften wir einen Querschnitt aus dem Angebot von Land und geschichtlicher Entwicklung in Kombination mit einzelnen Vorträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu speziellen zeit- und religionsgeschichtlichen Themen. Auf diese Weise entstand eine Korrelation von Obligatorischem und thematisch Brisantem, die in der folgenden Retrospektive an ausgewählten Beispielen angedeutet werden soll.[ 5 ]
Innerhalb der Stadt Jerusalem richtet der Besucher den ersten Blick natürlich auf jenen Ort, der einerseits für die Geschichte Israels als unübertroffener Brennpunkt der Sache Gottes mit seinem Volk gelten darf, der andererseits im religiösen und politischen Umgang der monotheistischen Weltreligion im Laufe der Jahrhunderte zum Stein des gegenseitigen Anstoßes geworden ist: der Tempelberg.
Der Eindruck ist zunächst ambivalent: Ist man auf der einen Seite zutiefst beeindruckt sowohl von den prachtvollen muslimischen Bauten auf der Plattform des Tempelberges (Haram es-Sherif)[ 6 ], als auch von den an der Westmauer betenden Jüdinnen und Juden, so stellt sich auf der anderen Seite bald das Gefühl der Unausgewogenheit dieser Betrachtungen ein: In unmittelbarer Nachbarschaft - gewissermaßen in der Verbindung der Steine - manifestiert sich ein guter Teil der religiösen Zerrissenheit der Stadt Jerusalem.
Für beide Seiten hatten wir uns während unseres Aufenthaltes ausreichend Zeit genommen: Die Erkundung des Haram mit dem wohl schönsten Bauwerk der Stadt - dem Felsendom - sowie mit den anderen muslimischen Heiligtümern (Al-Aqsa-Moschee; Ritualbrunnen, Waagschalen; kleinere Kuppelbauten) verschaffte uns neben der Faszination, den der Felsendom durch seine architektonische Raffinesse sowie durch sein intensives Farbenspiel auf uns ausübte, mit Hilfe einiger Zusatzinformationen, aber auch und v.a. durch die Beobachtung des Verhaltens der Menschen auf diesem Plateau einen ersten Eindruck vom religiösen Denken und Handeln im Islam.[ 7 ] Mindestens genau so eindrucksvoll war das Erlebnis des anbrechenden Schabbat am Freitag Abend an der Westmauer, der heiligsten Stätte des Judentums. Diesem kleinen Stück Mauer, das dem jüdischen Volk vom zweiten Tempel übriggeblieben ist, eignet eine doppelte Funktion: Es symbolisiert die Klage über die Zerstörung des Tempels, gleichzeitig aber auch und vor allem den Ausdruck der Hoffnung, denn in diesen Steinen ist für die Juden die Einwohnung JHWHs sichtbar, hier hat die Schekhina ihren Platz.
Beide Eindrücke sind überwältigend und stehen zunächst für sich, sie bieten dem christlichen Betrachter allerdings keine Handreichung, die sich dahinter verbergende globale Problemlage in irgendeiner Form zu klären. Dennoch: Diese Wahrnehmung macht sensibel und weist von daher das notwendige Irritationspotential für eine verstehende Erkundung der sogenannten Heiligen Stadt auf. Thematisch schien uns eine solche Chance am ehesten über das Abrahamthema bearbeitbar zu sein, birgt doch dieser Stoff in seiner Eigenschaft als urreligiöses Phänomen einen gemeinsamen Ansatzpunkt für Judentum, Christentum und Islam.[ 8 ] Dabei ging es unter dem Stichwort Abraham und seine Kinder keineswegs um eine schönfärbende Harmonisierung, als vielmehr darum, aufgrund der textlichen Befunde im Ersten Testament, im Neuen Testament sowie im Koran die unterschiedlichen Ansprüche und Argumentationsmodi zu erarbeiten und auf diese Weise das Gesehene und Erlebte zu ergänzen.[ 9 ] Bei allen offenen Fragen, die ein solches Unterfangen notwendiger Weise hinterlässt,[ 10 ] scheint mir, dass für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion gerade anhand des Erlebten im Bereich Haram/Westmauer entscheidende Implikate für alle weiteren Erkundungen im Land freigesetzt wurden.
Unsere Tagesexkursionen außerhalb Jerusalems begannen mit dem unvergesslichen Fußmarsch durch das Wadi Kelt. Dass das Erlebnis dieses Weges von Jerusalem nach Jericho für unsere Gruppe buchstäblich zur hoffnungsvollen Suche nach dem barmherzigen Samariter wurde, lag an einem falsch gewählten Einstieg in das Wadi: Während der aufgrund der Hitze ohnehin beschwerliche Weg anstrengend genug gewesen wäre, ließ sich das nun bevorstehende Teilstück nur durch das geschickte Überwinden von felsigen Hindernissen sowie das Durchwaten von teilweise kniehohen Wasserabschnitten passieren. Leider mussten wir dieses Unternehmen aufgrund schwindender Kraftressourcen und kleinerer Blessuren auf Höhe des Georgsklosters abbrechen und kamen auf diese Weise um den Genuss, das sich am Horizont mehr und mehr abzeichnende Jericho in Augenschein nehmen zu können. Dennoch oder gerade deshalb: Die Geschichte, die in Lk 10,30-35 vom barmherzigen Samariter erzählt wird,[ 11 ] bekam auf diese Weise ihre ganz eigene Dynamik.
Die Steine verraten für den Zusammenhang dieses berühmten Textes zunächst nicht allzuviel, denn alles was man erfährt, ist der Eindruck von Wüste, Hitze, Anstrengung und Einsamkeit.[ 12 ] So bot sich weniger eine Beschäftigung mit diesem Text an, als vielmehr - mit Blick auf das im Wadi vor uns liegende Kloster
- eine thematische Konzentration auf die Frage nach den Mönchen und ihrem Leben in der Abgeschiedenheit der Wüste.[ 13 ] Unter dem Leitsatz Gärten in der Wüste - Mönche in der Einsamkeit erhielten wir Einblicke in die vielschichtigen Erscheinungsformen des Mönchtums, in den fundamentalen Lebensgrundsatz der Askese sowie spezielle Informationen über den Einfluss des Mönchtums in Palästina seit dem 4. Jahrhundert. Die Motivation für Menschen, sich in die Einsamkeit der Wüste zurückzuziehen, bezieht ihre Plausibilität durch eine Denkfigur, die bereits im ersten Jahrhundert präsent und damit auch für das Verstehen mancher Passage der neutestamentlichen Texte relevant ist:
Die Welt wird belagert von Mächten und Dämonen und in irgendeiner Form gilt es, diesen Belagerungszustand zu überwinden. Die Erzählung von der Versuchung Jesu (vgl. Mk 1,12f) ist ein literarischer Reflex auf ein solches Empfinden und lässt sich gewissermaßen als paradigmatische Lösung lesen. Nun verbergen sich hinter dem Stichwort Mächte und Dämonen eine ganze Reihe möglicher Aktualisierungsvarianten, wie etwa Reichtum, Macht, Ruhm, Stolz, etc.. Gerade als Reaktion auf diese alltäglichen Unfreiheiten versteht sich der Rückzug der Mönche in die Abgeschiedenheit, die sich ihrerseits entweder in der Form des Zusammenlebens in einer Gruppe mit gemeinsamer Gesinnung oder aber (in regelmässigen Abständen) in der totalen Einsamkeit manifestiert.[ 14 ] Das Ziel ist klar: Die Flucht aus den Zwängen der Welt stellt den Versuch dar, tatsächlich als Kinder Gottes zu leben, den Kampf gegen die Realisierungen des Bösen durch die Reinheit des Herzens zu führen, was sich schlussendlich natürlich im Umgang mit dem Nächsten bewähren muss.[ 15 ]
Für unsere Reisegruppe dokumentierte das Erreichen des Georgsklosters einen solchen Befund auf eindrucksvolle Weise: Mitten in der zerklüfteten Wüste trifft man auf ein in die Felswand integriertes Bauwerk mit verschiedenen Höhlenkirchen und kleineren Grotten für die Einzelaskese, dessen Geschichte zurückzuverfolgen ist bis in das Gründungsjahr 480 und das nach seiner Blütezeit im 6. bzw. 7. Jahrhundert[ 16 ] unter dem Abt Georg von Choziba eine lange Durstrecke erleben musste.[ 17 ] Erst zwischen 1878 und 1901 erneuerten griechisch-orthodoxe Mönche das Kloster, das sich seit dem durch seine Gastfreundschaft auszeichnet und auf diesem Wege das mönchische Ideal der Umsetzung des gottgefälligen Lebens im Umgang mit dem Nächsten fortsetzt.
Und an dieser Stelle scheint sich doch noch eine Verbindung zu der angesprochenen Geschichte vom barmherzigen Samariter zu ergeben, denn die Frage nach der Barmherzigkeit ist ja schließlich die inhaltliche Spitze dieses Textes: Eine narrative Analyse zeigt, dass die Funktion des Beispiels vom barmherzigen Samariter innerhalb des Dialogs zwischen Jesus und einem Tora-Lehrer über das ewige Leben zu eruieren ist. Das Erzählte - so das knapp zusammengefasste Ergebnis - charakterisiert die Barmherzigkeit danach nicht etwa in der Außerkraftsetzung der grundsätzlichen Relevanz der Tora, sondern pointiert deren normative Kraft durch den Verweis auf das konkrete Tun.[ 18 ]
Der Besuch der Ausgrabungen in Qumran gehört für eine Exkursion nach Israel unter zeit- und religionsgeschichtlichen Gesichtspunkten nicht nur zum obligatorischen Pflichtprogramm, sondern stellt sicherlich einen der Höhepunkte einer solcher Reise dar. Ohne im einzelnen auf die Bedeutung der sich seit den ersten spektakulären Funden im Jahre 1947 mehr und mehr entwickelnden Begeisterung für die Schriftrollen und das aufgrund der Ausgrabungen rekonstruierbare Leben der Gemeinschaft sowie auf die damit verbundenen ideologischen Konfrontationen eingehen zu können,[ 19 ] mussten wir einen thematischen Fokus wählen: Die interessante Verbindung zwischen Steinen und Texten ergab sich in diesem Fall über das Stichwort Reinigung. Nach einer allgemeinen Einführung zu den Grabungen und zur Situation der Qumrangemeinde im Rahmen des Frühjudentums galt das Interesse der Betrachtungen dementsprechend auch v.a. jenen Teilen der Siedlung, die mehr oder weniger direkt mit diesem innersten Prinzip der Gemeinschaft zu tun hatten. Das Element Wasser und seine Nutzung - hier ist sich die Forschung einig - spielte eine umfassende Rolle für die Qumransiedlung, und zwar auf der einen Seite überhaupt als lebensnotwendige Voraussetzung für eine Siedlung in dieser Gegend,[ 20 ] auf der anderen Seite als Element für jene Reinigungsriten, die sowohl für den Eintritt in die Gemeinschaft als auch für das tägliche Zusammenleben fundamental waren. So verwundert es kaum, dass ein sehr großer Teil der ausgegrabenen Einzelobjekte mit diesem Medium zu tun haben: Die gesamte Süßwasserversorgung war überhaupt nur möglich über einen mit Steinen ausgelegten und an den Seiten aufgemauerten Aquädukt, der das Wasser aus dem durch eine Mauer teilweise gestauten Wadi Qumran[ 21 ] in die Anlage, d.h. in ein eigens dafür vorgesehenes Absetzbecken leitete, das seinerseits als Kläranlage für das herangeführte Wasser fungierte. Der Aquädukt verzweigte sich innerhalb der Siedlung in mehrere Kanäle und speiste auf diese Weise unterschiedliche Zisternen und Becken, so dass eine regelmäßige Wasserversorgung in der gesamten Anlag ständig gewährleistet war.[ 22 ] Die Ausgrabungen förderten vier große Zisternen zu Tage, deren Fassungsvermögen zwischen 120 und 332 Kubikmetern betrug, drei etwas kleinere Zisternen mit einem möglichen Volumen von 40 - 56 Kubikmetern sowie vier Becken mit etwa 10 Kubikmetern. Zusätzlich wurden weitere kleinere Becken ausgegraben, die an unterschiedlichen Stellen in der Anlage der Wasserentnahme dienten. Die Badebecken - das größte erstreckt sich über 17 m Länge, 3,6 m Breite und 4,35 m Tiefe -, deren Wände verputzt und offensichtlich zum Schutz vor Verdunstung teilweise mit Dächern versehen, dienten der rituellen Reinigung vor Einnahme der Mahlzeiten und zeichneten sich durch ihre Treppenanlagen aus, welche entweder durch eine schmale Mauer in zwei Bereiche getrennt oder aber als doppelte Rampe konstruiert waren.[ 23 ] Über die Aufteilung dieser Zugänge zu den Zisternen kann man nur spekulieren: Vielleicht diente die eine Seite zum Hinabsteigen zur Reinigung in das Wasser, während man das Bad auf der anderen Seite gereinigt verließ.[ 24 ] Wie dem auch sei, die Ausgrabungen belegen in jedem Fall die Relevanz der Reinigungsvorgänge für die täglichen Abläufe in der Gemeinschaft und stimmen damit mit den Aussagen der Texte überein:[ 25 ] Im Rückgriff auf die Reinigungsvorschriften und das Heiligkeitsgesetze im Buch Levitikus (Lev 11-15; 17-22) ist das Reinheitsthema in den Qumranschriften allenthalben präsent und untermauert gewissermaßen theologisch das bewusste Leben der Gemeinschaft in der gewählten Abgrenzung zum Jerusalemer Tempel sowie in der Einsamkeit der Wüste. Die apokalyptische Sicht der Geschichte und die hoffnungsvolle Gewissheit, durch die gelebte Praxis eines priesterlich reinen Lebens an der göttlichen Heilszeit partizipieren zu können, sind ausschlaggebend für die konsequente Umsetzung jenes nachexilischen Leitfadens, wie ihn die Lev-Texte anbieten.[ 26 ] Als Beispiel eignen sich u.a. die Gemeinschaftsregel (1 QS) bzw. die Gemeindeordnung für das Israel der Endzeit (1Qsa) an, zwei Textblöcke, die sowohl für den Eintritt in die Gemeinschaft als auch für die tägliche Gottesdienstfähigkeit und in diesem Sinne als ständige Erneuerung der angemessenen Mitgliedschaft in der Gemeinde die maßgebliche Funktion der rituellen Reinheitsvollzüge betonen.[ 27 ]
Welche Verbindung ergibt sich von diesem Befund her zum Neuen Testament bzw. zur Frage nach den Reinheitsvorstellung der neutestamentlichen Autoren? Die Jesusbewegung setzt - wie Blecker am Beispiel von Mk 7 gezeigt hat[ 28 ] - einen etwas anderen Akzent, bleibt dabei gleichwohl in der klaren Linie der ersttestamentlichen Vorgaben: Nicht die strenge Befolgung der Reinheitsvorschriften, sondern eine sozialethische Transformation ist nun relevant,[ 29 ] die allerdings ihrerseits nicht weniger radikal bzw. apokalyptisch motiviert ist als es die Texte aus Qumran anbieten. Beide Bewegungen bieten auf ihre Weise Alternativrealitäten, d.h. sie setzen Kontrastpunkte gegen die gesellschaftliche und religiöse Norm ihrer Zeit. Es geht darum, die Inhalte des Gesetzes transportabel, sie für die momentanen Notwendigkeiten les- und verstehbar, aber auch für das alltägliche Leben umsetzbar zu machen. Beide bieten also Ansätze, der Aussichtslosigkeit der Geschichte das Kommen bzw. den Anbruch des Reiches Gottes entgegenzustellen.
Bei allen Unterschieden, die sich gerade über das Reinheitsthema zwischen den beiden Gruppierungen aufzeigen lassen,[ 30 ] bietet die Beschäftigung mit der Gemeinschaft von Qumran - d.h. das kombinierte Studium von Steinen und Texten - eine geeignete Möglichkeit, sich über die Zeit und die politisch und religiöse Umwelt, in der die neutestamentlichen Texte entstanden, Gewissheit zu verschaffen.
Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelte uns der Besuch der Bergfestung Masada. 'Nie wieder Masada...!' - dieser ideologisch durchaus sensible Ausspruch, der seit der Staatsgründung 1948 zum Inbegriff jüdisch nationaler Hoffnungen avancierte, zeigt durch die Tatsache, dass in Israel bis vor einigen Jahren die Vereidigung der Rekruten für die Armee auf eben jenem Felsmassiv durchgeführt wurde, welcher historische und politische Sprengstoff sich hinter dieser Ausgrabung verbirgt.
Wir hatten Masada bereits für das oben angesprochene Hauptseminar als Testfall ausgewählt, so dass wir inhaltlich (also historisch, literarisch und archäologisch) bestens für die Besichtigung gerüstet waren: Das 600 m lange und bis zu 230 m breite Plateau war bereits vor 6000 Jahren bewohnt und diente im Laufe der Geschichte immer wieder als Zufluchtstätte. Für unseren speziellen historischen Ausschnitt sind folgende Entwicklungen wichtig:[ 31 ] Der Makkabäer Jonathan (161-143 v.Chr.) baute auf Masada eine Burg, die der Hasmonäer Johannes Hyrkanos (135-104 v.Chr.) verstärkte. Herodes dem Großen diente diese Festung bereits im Jahre 40 v.Chr. als Schutz für seine Familie auf der Flucht vor den Parthern und Juden sowie als Zentrale zur Vorbereitung seiner Machtübernahme in Judäa; als er dann König von Judäa war, baute er Masada zwischen 36 und 30 v.Chr. zur stärksten Festung des Landes aus. Nach dem Tod des Herodes wurde die Festung zur römischen Garnison; zu Beginn des jüdischen Krieges (66 n.Chr.) übernahm eine Gruppe von Zeloten die Herrschaft über die Festung und hielt sie bis zum Zusammenbruch des jüdischen Aufstandes als letzte Bastion. Und eben jene Ereignisse, die sich zwischen 72 und 74 n.Chr. nach dem Fall Jerusalems um und auf Masada ereigneten, sind Ursprung des Mythos, den wir in der kurzen Einleitung zu diesem Kapitel erwähnten und über den der Historiker Flavius Josephus in seiner Schrift 'bellum iudaicum' (vgl. v.a. BellJud VII Kapitel 8) einen eindrucksvollen Bericht verfasst hat:[ 32 ] Als der Aufstand von den Römern mehr oder weniger niedergeschlagen war, zogen sich die letzten Zeloten auf Masada zurück und behaupteten sich aufgrund der strategisch ausgezeichneten Lage, einer starken Befestigungsanlage sowie mit Hilfe eines offensichtlich unerschöpflichen Fundus an Vorräten gegen die vom römischen Statthalter Flavius Silva angeführte 10 Legion. Durch den sich schnell schließenden Belagerungsring - die acht Römerlager sowie der diese verbindende, etwa 3,5 km lange und 2 m breite Belagerungswall sind vom Plateau aus noch heute sehr gut eruierbar[ 33 ] - gab es für die Zeloten kein Entkommen. Die Römer schütteten eine gewaltige Rampe bis zum Plateau hinauf an, schlugen eine Bresche in die Mauer und setzten die Behelfsmauer in Brand; als sie am folgenden Morgen die Festung stürmten, fanden sie die Eingeschlossenen nur noch tot vor. Was war passiert: Die 960 Männer, Frauen und Kinder hatten sich nach der ergreifenden Rede des Eleazar (BellJud VII 8,6f) umgebracht, 'da sie schon lange entschlossen waren, weder den Römern, noch sonst jemandem außer Gott zu dienen und das von Gott gegebene Vorrecht nutzen wollten, als freie Menschen zu sterben'; sie wählten durch das Werfen einer Münze zehn Männer aus ihrer Mitte aus, die die übrigen töten sollten, um im Anschluss an das blutige Werk wiederum durch Losentscheid einen letzten auszuwählen, der die restlichen neun umbringen sollte. Lediglich zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich in einer Zisterne versteckt und waren auf diese Weise dem schrecklichen Blutbad entkommen.
Der archäologische Befund auf Masada zeigt auf den ersten Blick nur noch wenig von dieser unglaublichen Geschichte;[ 34 ] alleine der eindrucksvolle Angriffsdamm der Römer (sie weist eine Länge von 196 m auf, war stabilisiert durch Holzpfähle und mit eine 20 m breiten Steinrampe besfestigt) scheint als sichtbares Symbol für das Geschehene geblieben zu sein. Die übrigen sehenswerten Ausgrabungen verdeutlichen eher das Bild des alltäglichen Lebens für die Zeit zwischen Herodes dem Großen und dem Ende des Jüdischen Aufstandes und ergänzen damit unsere bisherigen Ausführungen. Wir wollen auf einige Besonderheiten hinweisen.[ 35 ] Wenn man über den sogenannten Schlangenpfad den beschwerlichen weil steilen Aufstieg zum Plateau nimmt, oder wie wir (aus Zeitgründen...) einfach die Seilbahn benutzt, wird man vom Eingang aus bereits auf ein Detail aufmerksam: Die Kasemattenmauer, die die gesamte Festung auf einer Länge von etwa 1300 m umzog, bauten die Zeloten zu Wohnungen aus, die ihrerseits das dürftige Leben der Zeloten während der Belagerung widerspiegeln. In einer dieser Behausungen nahe des Angriffswalls fand man neben Wurfgeschossen auch Schriftrollen mit Texten aus Gen, Lev und den Psalmen sowie Teilen aus Qumranschriften.[ 36 ]
Einen krassen Gegensatz dazu stellt der Terassenpalast (oder Nordpalast) des Herodes dar, der in den nördlichen Hang der Festung hineingebaut war. Dieser Palast - die Privatresidenz des Herrschers - bestand aus drei übereinander liegenden Villen, die jeweils einen anderen Grundriss aufwiesen und über in den Fels geschlagene Treppen miteinander verbunden waren: Die unterste Terrasse war versehen mit einer quadratischen Wandelhalle, in deren Mitte sich ein offener Innenhof befand; auf der mittleren Etage wurde in Form eines Rundbaus der Luxuspavillon errichtet; die obere Terrasse bot auf rechteckigem Grundriss Wohnraum. Insgesamt manifestiert sich in dieser Anlage einerseits die große architektonische Größe des Herodes, gleichermaßen jedoch auch sein Hang zum Verschwenderischen. Einen ähnlichen Eindruck erwecken auch einige andere Gebäude, wie etwa der Westpalast, der auf einer Fläche von 4000 m2 mit unterschiedlichen Sälen, Wirtschafts, Vorrats- und Verwaltungsräumen und nach allen Regeln internationaler Kunst die offizielle Residenz des Herrschers darstellte. Für seine Beamten ließ Herodes mehrere Villen errichten, die mit ähnlichem Luxus ausgestattet waren.
Neben dem Verwaltungsgebäude und den großen Lagerhallen, in denen Herodes einen so großen Bestand an Notwendigem horten ließ, dass die Zeloten während der oben beschriebenen Belagerung noch ausreichend davon partizipieren konnten, ist besonders der Fund unterschiedlicher Wasseranlagen interessant: So sind etwa die Thermen des Herodes zu nennen (ein typisch römisches Badehaus mit unterschiedlichen Badeanlagen) sowie mehrere Zisternen, die über den gesamten Bereich des Plateaus verteilt sind. Besonders erwähnenswert ist die große Zisterne am Südende der Anlage, die etwa 1000 m3 Wasser fasste; Wie schon im Falle von Qumran war auch hier ein besonderes Wasserversorgungssystem notwendig: Neben der bereits bekannten Herleitung des Wassers aus den umliegenden Tälern setzte man v.a. auf die wenigen aber starken Regenfälle, die die Zisternen stets auf einem für die Versorgung ausreichenden Level hielten. Für die Zeloten spielte das Wasser - parallel zur Qumrangemeinschaft - eine wichtige Rolle für die eigene Identität: So hat man etwa im Innenraum des Verwaltungsgebäudes ein Ritualbad gefunden. Die nahe der großen Zisterne gelegene Mique zählt zu den ältesten ihrer Art und besteht aus drei Teilbereichen, einem Becken, das zum Regenwasserauffang diente, ein Becken für die rituellen Reinigung der Hände und Füße und schließlich einem rituellen Tauchbecken.
Neben diesen Vorrichtungen für die rituelle Reinigung, geben weitere kleinere Einzelheiten, wie etwa der Fund von Werkstätten, einer Bäckerei, einer Schusterei sowie Hausrat, Schriftrollen und Münzen ein durchaus aussagekräftiges Bild über die Lebensweise der Zeloten. Nicht zuletzt ist hinzuweisen auf die an der westlichen Mauer der Anlage befindliche Synagoge: Das unter Herodes entstandene Gottesdienstgebäude (fraglich ist, ob es sich zu dieser Zeit um eine Synagoge handelte) ist in die Kasemattenmauer integriert, nach Jerusalem ausgerichtet und wurde von den Zeloten umgestaltet; sie war geprägt durch einen Säulenumgang sowie von vier übereinander gestaffelten Bankreihen entlang der Wände. In einem Nebenraum fand man Fragmente aus dem Ezechielbuch sowie aus dem Buch Deuteronomium.
Fazit: Der Besuch auf Masada war eine der gelungensten Korrelationen zwischen der Arbeit an der Uni und der Erfahrung vor Ort; auf diese Weise entstand tatsächlich eine produktive Synthese von Texten und Steinen. Für einen möglichen nächsten Besuch nahm sich allerdings eine große Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor, Masada über den Schlangenpfad zu besteigen - übrigens eine erwägenswerte Alternative, gerade wenn man sich frühmorgens auf den Weg macht, um den einzigartigen Sonnenaufgang über Jordanien zu erleben...!
Neben einem weiteren Tagesausflug in den Negev, bei dem wir den Nabatäerstützpunkt Mamshit sowie die biblisch häufig genannte Stadt Be'er Sheva besuchten, konzentrierten wir die übrige Zeit in Jerusalem auf die wichtigsten Stätten innerhalb der Stadt bzw. in ihrer näheren Umgebung.
Der Besuch des Israelmuseums hatte für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer so etwas wie einen zusammenfassenden und in jeder Hinsicht vertiefenden Charakter. Denn sowohl die beeindruckende Ausstellung der Qumranrollen im Schrein des Buches als auch die museumspädagogisch höchst wertvoll inszenierte Dokumentation der Geschichte Israels bot eine optische wie inhaltliche Zuspitzung des bisher in den Ausgrabungen Gesehenen.
Wer in die Grabeskirche kommt, ist zunächst irritiert. Und das nicht etwa alleine aufgrund der möglichen Skepsis über die Information, dieses Hauptheiligtum der Christen umschließe den Golgotafelsen, die Kreuzigungsstätte sowie das leere Grab, sondern vielmehr durch die schockierende Erfahrung des massenhaften Durcheinanders der kreuz und quer durch diese Kirche strömenden Touristen sowie aufgrund der düsteren Unübersichtlichkeit, die das Auffinden der unterschiedlichen Highlights zu einem echten Abenteuer macht. Nichts desto weniger liegt aber gerade auch darin der Reiz der Erkundung.[ 37 ] Denn es ist schon bemerkenswert, mit welcher stoischen Ruhe und Konzentration die vielen verschiedenen christlichen Konfessionen ihre Gottesdienste mitten in diesem Treiben feiern. Neben dem Studium der in sich verschachtelten Baustile bleibt in Erinnerung v.a. die kursorische Lektüre der neutestamentlichen Auferstehungstexte auf dem Dach der Kirche im Bereich der Äthiopier. Trotz der Fraglichkeit der faktischen Zuweisung der heutigen Verehrungsstätten zu den Originalschauplätzen erhielt die Frage, wie das leere Grab zum leeren Grab wird und die möglichen literarischen Antwortversuche durch die Wahl dieses Ortes eine durchaus authentische Dimension.
Yad Vashem - Ein Denkmal und ein Name. Auf dem Har HaZikkaron, dem Berg der Erinnerung, befindet sich die Hauptgedenkstätte des Jüdischen Volkes an die Ermordung von sechs Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. So etwas wie eine Besichtigung kann dort nicht stattfinden, es ist eher die schweigende Begegnung mit der schrecklichen Vergangenheit. Die monumentalen Mahnmale - Halle der Erinnerung (Platten mit den 22 Vernichtungslager); Halle der Namen (hier sind über drei Mill. Juden verzeichnet); Tal der Gemeinden (in einem Labyrinth sind die Gemeinden eingemeißelt, die von den Nazis ausgelöscht wurden); Kindergedenkstätte (unterirdische Halle mit mehreren Glaswänden; in deren Mitte fünf Kerzen, die unzählige Male widergespiegelt werden: Gedenken an die 1,5 Mil. ermordeten Kinder) sowie zahlreiche Plastiken und Einzeldenkmäler (wie etwa die trockenen Knochen oder der letzte Wagen) - werden ergänzt durch ein Museum, das die Geschichte der Verfolgung und Vernichtung dokumentiert und mit Hilfe von Bildern, Gemälden und Zeichnungen illustriert. Ein Denkmal und ein Name - diese Bedeutung von Yad Vashem ist angelehnt an Jes 56,5 ('Ihnen alleine errichte in meinem Haus und in meinen Mauern ein Denkmal; ich gebe ihnen einen Namen, der mehr wert ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird') und bringt die hoffnungsvolle Komponente eines solchen Mahnmals zum Ausdruck; es ist ein Zeichen gegen das Vergessen und somit für uns Heutige eine der wenigen Möglichkeiten, eine Wiederholung des Schrecklichen mit aller Kraft zu verhindern. Am Ende des Museumsrundgangs fasst ein Wort Martin Bubers dies zusammen: 'Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung'.
Der Ölberg, der den südlichsten Ausläufer einer Bergkette zwischen Mittelmeer und Jordangraben darstellt, übernimmt bereits in ersttestamentlichen Traditionen die Funktion des Ortes, an dem man Gott anbetet bzw. an dem die Gegenwart Gottes in besonderer Weise evident wird (vgl. z.B. 2 Sam 15,32; 1 Kön 11,7; Ez 11,23) und von dem aus der Überlieferung nach der Messias in Jerusalem einziehen wird (vgl. Sach 14,4).[ 38 ] Nicht von ungefähr erstreckt sich im Anschluss an ein solches Verständnis am Westhang dieses Berges der riesige jüdische Friedhof, auf dem Juden aus allen Teilen der Welt begraben sind. Die neutestamentlichen Texte übernehmen diese Traditionen und situieren v.a. die Himmelfahrt Jesu auf diesem Berg (Vgl. Lk 24,50f; Apg 1,19), was sich baulich v.a. in der sogenannten Himmelfahrtskapelle bzw. -moschee manifestiert.[ 39 ] Auch die anderen Bauten auf dem Ölberg zeichnen sich einerseits durch eine christliche Motivation aus (Mariengrab; Garten Getsemani und Getsemanigrotte; Kirche der Nationen; Dominus Flevit; Pater-Noster-Kirche) und bieten andererseits Einblicke in jene vielfältige Archtitekturgeschichte, wie sie das Beispiel der Himmelfahrtskirche vorgibt. Die Erkundungen auf dem Ölberg bieten folgenden Gesamteindruck: Die heiligen Stätten bieten so etwas wie eine architektonische Wirkungsgeschichte der religiösen Grunddaten, und zwar sowohl innerhalb der Beziehung zwischen Judentum und Christentum, als auch hinsichtlich der Ergänzung durch den Islam. Dem Betrachter wird nach und nach deutlich, dass dabei gar nicht so sehr die Notwendigkeit der Faktizität der Ereignisse zu diskutieren ist; die Frage, wie heilige Stätten zu heiligen Stätten werden, wird vielmehr über die Stichworte Erinnerung und Identität bestimmbar. Wie die Anmerkungen zur Himmelfahrtskirche zeigen, spielt dabei die Symbiose von Texten und Steinen in diesem Fall im Blick auf die Wirkungsgeschichte eine nicht unerhebliche Rolle.
Schließlich ist auf die St. Anna-Kirche und die Betesda-Teiche hinzuweisen: Die Kirche, die der Geburt der Maria geweiht ist, zählt wohl zu den besterhaltenen Kreuzfahrerbauten im ganzen Land und zeichnet sich neben ihrer für den sakralen Kirchbau der Kreuzfahrer typischen Charakteristik durch eine atemberaubende Akustik aus, von der wir uns durch einige Gesangskostproben überzeugen durften. Nun war für unsere neutestamentliche Brille unter der Berücksichtigung der Erzählung von der Heilung eines Gelähmten in Joh 5 v.a. der Blick auf die Betesda-Teiche von großem Interesse, jene über 5000 m2 große Doppelzisterne mit einer Länge von ca. 120 m und einer Breite von bis zu 60 m, die 7-8 m tief in den Felsen gehauen sowie mit fünf Säulenhallen[ 40 ] bestückt war. Diese riesige Zisterne - man sammelte darin offensichtlich Regenwasser aus den umliegenden Abhängen (vgl. Jes 7,3; 2 Kön 18,17; Sir 50,3) - trug auch den Namen Schafteich, was daher resultierte, dass sie in der Nähe des Schaftores lag (vgl. Joh 5,2) bzw. dass man in der Nähe des Teiches die Opfertiere zusammentrieb. Der Name Betesda lässt sich umschreiben mit 'Haus der Barmherzigkeit' und spielt an auf die medizinisch-religiöse (und in diesem Sinne volkstümlich gedeutete) Funktion dieses Ortes, die offensichtlich darin bestand, dass in der mittleren Halle Kranke auf die reinigende Wirkung des Wassers warteten und barmherzige Mitbürger sie versorgten. Ohne die weiteren baulichen Entwicklungen aufzeigen zu wollen,[ 41 ] wenden wir uns direkt der Erzählung in Joh 5 zu, denn sie setzt genau an dieser Stelle ein:[ 42 ] Der Autor des Johannesevangeliums inszeniert eine seiner Zeichengeschichten eben an diesem Ort, den er für seine Verhältnisse außergewöhnlich genau beschreibt: 'Es gibt aber in Jerusalem einen Teich, der auf Hebräisch Betesda genannt wird, der fünf Säulenhallen hat' (5,2). Zusätzlich beschreibt er das Szenario, das der zum Fest der Juden vorbeikommende Jesus vorfindet: 'In diesem lag eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer, Ausgezehrter danieder' (5,3) womit "der Teich Betesda mit seinen Gebäuden und seinem Milieu zu einem Symbol für eine ganze Welt, für eine kranke Welt"[ 43 ] wird. Innerhalb des Gesprächssequenzen zwischen dem Gelähmten und Jesus erfährt der Leser den eigentlichen Grund, warum der Kranke seine achtunddreißig Jahre andauernde Krankheit nicht los wird: Er hat keinen Menschen, der ihn rechtzeitig (d.h., wenn das Wasser steigt) zum Teich bringt (5,5-7). Gegenüber klassischen Heilungsverfahren (vgl. dazu z.B. die Vorgänge in Joh 9) entwickelt der Autor die Heilung direkt aus dem Dialog heraus, d.h. der Kranke wird lediglich aufgrund eines Wortes Jesu gesund (5,8f). Nun wäre es sicherlich angezeigt, die sich an die Heilung anschließenden Dialogrunden zwischen Jesus und 'den Juden' weiter zu verfolgen, denn hier entwickelt der Autor eigentlich die theologischen Spitzen dieser Geschichte. Wir müssen uns allerdings auf unser Anliegen konzentrieren: Der Johannestext, der bereits innerhalb der Darstellung der Heilung das bisher gültige Prinzip (den Kranken wird geholfen, die heilende Kraft des Wassers in Anspruch zu nehmen) um eine echte Alternativlösung bereichert (dem Wort Jesu eignet heilende Kraft), steht von den situativen Bedingungen her in enger Verbindung zu den baulichen Vorgaben. Der archäologische Befund bietet gewissermaßen die Grundlage für das Verständnis der Verständigung der johanneischen Erzählgemeinschaft, denn wie Löning es formuliert, demonstriert die Geschichte "nicht nur die manifeste Erscheinung der Heilsbedürftigkeit eines Menschen, sondern ist symptomatisch für die Befindlichkeit des Menschen in seiner Welt"[ 44 ] .
Die vier ausgewählten Beispiel zeigen, dass wir in und um Jerusalem eine ganze Reihe unterschiedlicher Erfahrungen in Bezug auf die Korrelation zwischen archäologischem Befund und textlicher Gestaltung machen konnten. Hinzuweisen ist an dieser Stelle noch darauf, dass wir uns in Gesprächen mit Menschen in der Stadt, Erkundungen auch jenseits archäologischer Provenienz, bei Synagogenbesuchen und natürlich bei individuellen Streifzügen durch das alte und neue Jerusalem, auch ein Bild vom modernen Leben und Leiden, also von Jerusalem als schwerer aber einzigartiger Adresse machen konnten.
Nach acht aufregenden Tagen verließen wir Jerusalem und fuhren durch den Jor-dangraben nach Galiläa. Auf diesem Weg machten wir noch dreimal Halt: Der 3 km nördlich von Jericho gelegene Hisham-Palast bot uns ein eindrucksvolles Zeugnis frühislamischer Palastarchitektur, in Bet Shean erwartete uns das größte erhaltene römische Theater Israels sowie ein eindrucksvoller Nachweis hellenistisch-römischer Städtebaukultur und schließlich sahen wir in Hamath-Tiberias die ältesten Thermen der Welt sowie ein großartiges Bodenmosaik einer Synagoge.
Die Übergänge zwischen den beiden Teilen unserer Reise - das machten be-reits die Eindrücke während der Fahrt deutlich verliefen nicht fließend, sondern bedeuteten einen klaren Schnitt: Dabei fiel nicht nur die landschaftliche Veränderung ins Auge, sondern auch der Wechsel von der multikulturellen Situation der Metropole in die eher provinzielle Gegend des Sees von Genesaret, der Tausch also von jenem geschäftigen Treiben zur beruhigenden Atmosphäre Galiläas.
Für unsere Reisegruppe ergab sich zudem noch ein fundamentaler Bruch: Wir mussten die fast luxuriös anmutende Versorgungslage im Österreichischen Hospiz eintauschen gegen einen umgebauten Schweinestall in Tabgha und komplett auf Selbstversorgung umstellen; nach einer kurzen Zeit der Eingewöhnung wirkte sich dieser Einschnitt allerdings durchaus produktiv für das Zusammenspiel der Gruppe aus.
Unser zweites Basislager hatten wir also in Tabgha aufgeschlagen, jener Oase am See Genesaret inmitten von Obstplantagen, die zwar täglich von einem nicht enden wollenden Touristenstrom heimgesucht wird, sich dem länger verweilenden Besucher erstaunlicher Weise dennoch als Inbegriff der Ruhe darstellt. An diesem Ort entspringen sieben Quellen, woraus sich der griechische Name Heptapegon ableitet, der wiederum im Arabischen mit Tabgha wiedergegeben wird. Den biblischen Hintergrund dieses Ortes bildet die Geschichte von der Brotvermehrung, die in unterschiedlichen Variationen überliefert ist (vgl. Mk 6,32-44; 8,1-10; Mt 14,13-21; 15,32-39; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15).[ 45 ] Die Tradition der Brotvermehrung war wohl ursprünglich eher am Ostufer des Sees angesiedelt (vgl. dazu Mk 7,31; 8,1 sowie den Johannestext),[ 46 ] wurde dann allerdings im 3. oder 4. Jahrhundert im Sinne einer Kommemorialtradition in die Gegend der sieben Quellen verlegt.[ 47 ] Der Name Dalmanutha, der in Mk 8,10 für dieses Gebiet Verwendung findet, bezeichnet heu-te noch explizit jenen berühmten, mit großen Steinen eingefassten Platz direkt am See, dessen Wahrzeichen ein großes Holzkreuz bildet und an dem um einen Altar herum jeden Tag zahlreiche Gottesdienste gefeiert werden.
Mittelpunkt des archäologischen Interesses ist sicherlich die Brotvermehrungskirche[ 48 ] und v.a. die darin zu bewundernden einzigartigen Mosaike: Vor dem Altar trifft der Betrachter auf das Brot-und-Fisch-Mosaik, was nach dem Befund der Fachleute zwischen dem 5. und 6. Jahrhundert entstand und in neuerer Zeit eine unbeschreiblicher Kariere als Andenkenmotiv gemacht hat. Was ist zusehen: In der Mitte des Mosaiks, zwischen zwei gedrungen dargestellten Fischen, befindet sich ein Korb, der erstaunlicherweise nur vier Brote enthält. Nun kann man rätseln, wo das fünfte Brot geblieben ist. Die Interpretationen sind unterschiedlich; die gängigste Auslegung besagt, das fünfte Brot befinde sich unter den vier sichtbaren. Wie dem auch immer sei: Die Interpretation der Steine ähnelt an dieser Stelle der der Texte. Dem berühmten Tabgha-Mosaik scheint eine fast metakommunikative Dimension zu eignen, indem der Betrachter definitiv in die Aktualisierung des Sinns einbezogen ist.
Kunstgeschichtlich fast noch interessanter sind die Mosaike im nördlichen und südlichen Querschiff, die zu den schönsten im Heiligen Land zählen: Zu sehen ist eine aus der hellenistisch-römischen Kunst bekannte Nillandschaft mit einer ganzen Reihe entsprechender Tiere (wie z.B. Störche, Kormorane, Reiher, etc.). Dieses Mosaik bietet für den Raum Palästina zum ersten Mal einen Übergang zur figürlichen Kunst und überträgt die aus der Nillandschaft bekannten Details auf den See Genesaret, wobei sogar ein sogenanntes Nilometer - ein Turm mit Hilfe dessen man den Wasserstand ablesen kann, abgebildet ist.
Direkt in der Nähe von Tabgha befinden sich die Primatskapelle, die im Sinne von Joh 21,1-17 an den wunderbaren Fischfang und an die besondere Beauftragung des Simon Petrus erinnert, sowie die Kapelle der Seligkeiten, die ihren Ort innerhalb der Pilgertradition in der Bergpredigt hat. Beide Gebäude gehörten nicht zum vorgegebenen Programm unserer Exkursion, boten sich allerdings für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den (wenigen...) zur Verfügung stehenden Zeiten als optionale Programmpunkte an und unterstützten ihrerseits den bereits angedeuteten Eindruck der Erkundungen vieler der Spuren Jesu am See Genesaret: Es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um GedenkStätten der biblischen Botschaft, die das Heilswirken Jesu in die direkte Nähe des Sees situieren und damit mehr oder weniger aus einer eigenen Perspektive heraus deuten, für die die jeweiligen zeitlichen Umstände für eine Bewertung unbedingt mit zu berücksichtigen sind. Die Botschaft für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Exkursion war, meine ich, dennoch klar: "Irgendwo am See lohnt es, sich etwas Zeit zu nehmen, um ein paar der Worte Jesu neu zu hören."[ 49 ]
Das 4 km südwestlich der Einmündung des Jordans in den See gelegene Kafarnaum bot sich aufgrund der zahlreichen neutestamentlichen Belege sowie aufgrund der besonderen archäologischen Details ausgezeichnet dazu an, Spekulationen über das dörfliche Leben zur Zeit Jesu anzustellen. Zwar gibt es weder einen ersttestamentlichen Nachweis noch andere vorchristliche Quellen, dennoch lässt sich anhand von Analysen der untersten Siedlungsschichten die Entstehung eines Dorfes im 2. Jh. v.Chr. nachweisen.[ 50 ] Der neutestamentliche Befund zeigt, dass es sich bei Kafarnaum zur Zeit Jesu bereits um ein größeres Dorf handelte, das durch eine Zollstation und einen Militärposten das Galiläa des Herodes Antipas von der Gaulanitis des Phillipos trennte (vgl. Mk 2,13ff; Mt 8,5ff) und über einen Fischerhafen verfügte.[ 51 ] Der Leser der Evangelien erfährt zudem, dass Jesus sich des öfteren nach Kafarnaum begibt (Mk 4,13; 9,33; Joh 2,12), dass er am Seeufer von Kafarnaum seine ersten Jünger findet (Mt 4,18), in der Synagoge lehrt (Mk 1,21f) und dass er dort verschiedene Menschen heilt (vgl. Mk 1,23-28; 1,29-31; 1,32-34; 2,1-12; 5,21)[ 52 ] . Besonders hervorzuheben sind zusätzlich die große Rede Jesu über das Brot des Lebens (Joh 6) sowie die Verwünschung Kafarnaums in 11,23 ('Und du Kafarnaum, meinst du etwa, du wirst bis zum Himmel erhoben? Nein, in die Unterwelt wirst du hinabgeworfen').[ 53 ]
Als Hauptanziehungspunkte fungieren zweifelsohne die Synagoge und das sogenannte Haus des Petrus. Die Rekonstruktion der Synagoge aus weißem Kalkstein bezieht sich auf einen Bau, den die Archäologen nach neueren Erkenntnissen auf das 4. Jh. n.Chr. datieren,[ 54 ] dem allerdings gleichwohl (mindestens) ein anderes Bauwerk vorangegangen ist. Der Wiederaufbau zeigt sehr schön, dass die Synagoge vom Charakter her an den antiken Versammlungsraum angelehnt ist: Über eine dreizehnstufige Freitreppe gelangt man zu der 25 m langen Terrasse vor der Südfassade und von hier aus in das verhältnismäßig große Atrium, das wiederum durch drei Portale den Eintritt in den eigentlichen Synagogenbereich ermöglicht. Die Synagoge selbst war mit Hilfe von Säulenreihen in drei Bereiche unterteilt; sie trugen eine (offensichtlich den Frauen zugedachte) Empore, so dass man im Gesamteindruck von einem zweistöckigen Gebäude ausgehen kann; der untere Raum der Synagoge war mit umlaufenden Sitzbänken versehen. Zahlreiche Verzierungselemente vom Innen und Außenbereich des Bauwerks sind im angrenzenden Garten aufgestellt.
Das große Wohnhaus, das man neben der Synagoge ausgegraben hat, wird als Haus des Petrus identifiziert. Dabei ist folgender archäologischer Befund zu berücksichtigen: Die drei konzentrischen achteckigen Grundmauern gehören zu einer byzantinischen Basilika aus dem 5. Jh. n.Chr. mit einem Durchmesser von 16,5 m, an die sich zwei mit einander verbundene Sakristeien anschlossen waren, die (möglicherweise etwas später) durch eine kleine Apsis mit Taufbecken ergänzt wurde und dessen Mitte ein Mosaik mit einem radschlagenden Pfau zierte. Unter diesem Oktogon fand man ein Haus, das mit einer Grundfläche von 7 x 6,5 m) deutlich größer war als die umliegenden Wohnhäuser und das sich auf das 2. Jahrhundert datieren lässt. In der Südwestecke ist der Name Petro/j sowie die Darstellung eines Fischerbootes eingeritzt, so dass man hier eine Art Hauskirche vermutet. Wiederum unterhalb dieser Ausgrabungen fanden sich weitere Schichten, die bis in das 1. Jh. n.Chr. zurückreichen. Das heutige Fußbodenniveau deckt sich mit jenem Versammlungshaus des Petrus aus dem 2. Jahrhundert. Die moderne Form der Erinnerung ergänzt diese sehenswerte Ausgrabung durch eine neu errichtete, gewissermaßen über den Dingen schwebende Kirche, insgesamt ein Versuch der Korrelation von alt und neu, die - die Architekten mögen es mir verzeihen - nur mittelmäßig gelungen ist.
Gerade die zahlreichen, auf dem Gelände verteilten Einzelteile - neben den Verzierungen der Synagoge auch Gegenstände des alltäglichen Lebens - leiten über zur thematischen Fragestellung an diesem Ort:[ 55 ] Nach einer grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Land und Stadt erhielten wir einen Einblick in die Lebens-, Arbeits-, und Wohnverhältnisse der Landbevölkerung. Dabei ergaben sich im Blick auf die Steine folgende (stichwortartigen) Verbindungen: Synagoge als Versammlungsstätte (s.o.); sozialer Abstieg durch große finanzielle Belastung (Pacht, Steuern, etc.); starke Präsenz von handwerklichen Berufen (Ölpresse, Mühlsteine, etc.); Zusammenleben auf sogenannten Wohninseln (Haus des Petrus); überwiegend sehr primitive Verhältnisse (es sind einige weitere winzige und sehr ärmliche Häuser ausgegraben).[ 56 ] Insgesamt lässt sich in der Kürze dieser Andeutungen bereits erkennen, dass sich die Beschäftigung mit den Ausgrabungen in Kafarnaum ganz hervorragend dazu anbietet, einen Eindruck jener Lebensverhältnisse zu erhalten, durch deren Bilderwelt die biblischen Zeugnisse so stark geprägt sind.
Eine Tagesexkursion führte uns ganz in den Norden des Landes. Bei dieser Tour besuchten wir zunächst eines der sehenswertesten Naturreservate Israels am Fuße des Hermon nahe der libanesischen Grenze, dem urwaldähnlichen Quellgebiet des Flusses Dan, welcher zusammen mit einigen anderen Quellflüssen im sogenannten Hulebecken zum Jordan zusammenfließt. Die biblische Stadt Dan,[ 57 ] die unter dem Namen Lajisch bereits für das 2. Jahrtausend v.Chr. belegt und in der Liste des Tutmosis III. (1468-1436 v.Chr.) zu den eroberten Städten Palästinas zählt, bildete den nördlichsten Punkt der Ausdehnung des klassischen Israels; die im Ersten Testament des öfteren auftauchende Formulierung 'Von Dan bis Beerscheba' (vgl. Ri z.B. 20,1) fungiert als Symbol des Einflussgebiets der Israeliten.[ 58 ] Auf dem Tel Dan ist neben dem mächtigen Stadttor aus dem späten 10. Jh. v.Chr. v.a. jenes 18 x 18 m großes Podest sehenswert, auf dem einer der beiden Goldenen Stiere verehrt wurde, die Jerobeam I. zur Sichtbarmachung der Reichsspaltung in Dan und Bet El aufstellen ließ (1 Kön 12,29) und die für das Volk Anlass zur Sünde wurden: 'Das Volk zog sogar bis nach Dan, vor das eine Kalb' (1 Kön 12,29).[ 59 ] Gegen ein solches Vorgehen erhob sich der prophetische Widerstand, der die Statuen ironisch als Goldene Kälber deklarierte, wie es etwa Hos 13,2 zum Ausdruck bringt: 'Nun sündigen sie weiter und machen sich aus ihrem Silber gegossene Bilder, kunstfertig stellen sie Götzen her, nur ein Machwerk von Schmieden; ihnen müsst ihr opfern, sagen sie, Menschen küssen Kälber'.[ 60 ]
Unser thematisches Interesse galt hier v.a. dem Tor und seiner Funktion, denn neben der bereits erwähnten israelitischen Doppeltoranlage mit 4 Türmen und 2 Wachräumen, fanden die Archäologen ein Stück weiter östlich eine echte Sensation: Ein komplett erhaltenes kanaanitisches Vier-Kammer-Tor aus dem 18. Jh. v.Chr.; der wohl bisher weltweit älteste Fund in dieser Richtung.
Das Tor diente im alten Israel als Versammlungsort der Bürger und Ältesten, es war der Ort, an dem Politik gemacht wurde, Entscheidungen getroffen wurden, es galt als Handels- und Marktplatz und nicht zuletzt als Ort, an dem Gericht gehalten wurde. Ein solcher Befund lässt sich über weite Teile des Ersten Testaments nachweisen[ 61 ] und wird auch stellenweise in den neutestamentlichen Schriften sichtbar, wenn mit dem Begriff pu/lh tatsächlich Stadttore bezeichnet werden, wie z.B. Lk 7,12 (Nain); Apg 9,24 (Damaskus), 16,13 (Philippi); Heb 13,12 (Jerusalem) zeigen.[ 62 ] Sowohl in ersttestamentlichen als auch in neutestamentlichen Zusammenhängen bekommt das Tor darüber hinaus allerdings sehr oft eine übertragene Bedeutung: Über das Lexem qu/ra wird dabei im NT das Bild des Tores / der Tür verwendet für die Inbeziehungsetzung zwischen Himmel und Erde, wobei nicht selten eine eschatologisch-apokalyptische Perspektive impliziert ist (vgl. nur die häufigen Anspielungen in Offb) - übrigens ein durchaus ein gängiges Muster in der frühjüdi-schen Literaturlandschaft, wie z.B. 4 Esr 3,19; TestLev 5,1; syrBar 22,1; äthHen 14,15; etc. zeigen. Das antike Verständnis - und in diesem Sinne unsere Erfahrungen vor Ort - werden (z.B. in diesem Sinne)[ 63 ] in den Texten theologisch aufgegriffen und weiterverarbeitet.
Die zweite Station dieses Tages war Banias: Für die am Süd-West-Fuß des Hermon gelegene und sehr Stadt, die im neuen Testament unter dem Namen Caesarea Philippi bekannt ist (vgl. Mt 16,13; Mk 8,27), fehlt zwar eine ausführliche archäologisch Erforschung, das zu besichtigende Terrain bietet allerdings ein sehr eindrucksvolles Bild durch die riesige Pangrotte und die kleineren Nischen und Höhlen. Innerhalb der großen Grotte entsprang ursprünglich der Fluss Banias - ein weiterer Quellfluss des Jordan -, bis ein Erdbeben die Quelle blockierte, so dass das Wasser unterhalb der Grotte aus dem Felsen herausläuft und sich in den mehrstufigen Teichen sammelt.[ 64 ] Die rechts neben der Grotte in den Fels geschlagenen Nischen stammen aus hellenistisch-römischer Zeit; in ihnen waren offensichtlich Statuen des bockfüßigen Pan und anderer Naturgottheiten zu sehen. Die in den Nischen aufgefunden griechischen Inschriften hat man noch nicht eingehend untersucht.
Wir nutzten den Aufenthalt in Banias - übrigens ein beliebtes Ausflugsziel der Drusen[ 65 ] -, um ein wenig auszuruhen und uns auf den dritten und letzten Programmpunkt dieser Tagesexkursion, den Besuch in Nimrod, vorzubereiten.
Über eine der kurvenreichen Golan-Straßen erreichten wir die schon von weitem sichtbare, auf einem schmalen Felsrücken 816 m über dem Meer gelegene Festung Nimrod.[ 66 ] Da diese riesige Ruine aufgrund ihrer problematischen Lage in den Golanhöhen noch nicht touristisch erschlossen ist und die baulichen Restbestände nicht restauriert sind, bekommt man hier fast einen ursprünglichen Eindruck der 430 m langen und bis zu 150 m breiten Kreuzfahrerburg.[ 67 ] Gleich nach Betreten der Festung durch den heutigen Zugang verschafften wir uns einen Überblick über die Kreuzfahrerzeit anhand eines thematischen Ortsreferates, das eine - sicherlich ungewollte - Eigendynamik entwickelte und allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum unvergessenen Erlebnis geworden sein dürfte: Der Referent bot nach der überblickartigen Darstellung der allgemeinen Fakten zu den Kreuzzügen eine sehr anschauliche und die umliegenden Steine einbeziehende Beschreibung zum Thema Festungen und Belagerungen während der Kreuzzüge. Nur all zu gut waren die Ausführungen über den Aufbau und die Funktion der Befestigungsanlagen, die Art der Kriegsführung und die Kampfweise der Kreuzritter sowie die detaillierten Hinweise zu den teilweise äußerst brutalen uns psychologisch und taktisch geschickten Methoden zur Ausschaltung von Gegnern nachvollziehbar, saßen wir doch gewissermaßen mitten in einem möglichen Raum des vorgetragenen Geschehens.
Nach diesem großartigen Stück Anschauungsunterricht und einer kurzen Einweisung in die Gesamtstruktur der Anlage, konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann auf eigene Faust das Gelände erkunden. Die wichtigsten Eckpunkte in aller Kürze: Gleich neben dem Eingang befindet sich eine große zweigeteilte Zisterne (25 x 9 m), in der Regenwasser gesammelt wurde; von hier aus gelangt man über eine überwölbte Rampe in den obersten Stock des insgesamt drei Stockwerke umfassenden, wuchtigen Südturmes, der einen ersten Eindruck der damaligen Wehrtechnik vermittelt (Schießscharten, etc.). dass sich die Anlage ehemals in zwei Teile gliederte die Unterburg und die Oberburg - wird an den beiden eigens für jeden dieser Bereiche in die Wehrmauer eingebauten Tore sichtbar. Innerhalb der Unterburg fallen noch besonders die Überreste einer Kreuzfahrerkapelle auf.
Das Zentrum der Oberburg, die man über eine Doppeltreppe erreicht, bildet der sogenannte Donjon, gewissermaßen eine Festung in der Burg, die von schweren Türmen umgeben war. Der Donjon hatte den Zweck, den Herrn der Burg und dessen eigenen Bereich zu schützen; er galt als letzte Fluchtmöglichkeit, sollte die Burg eingenommen werden. Den äußeren nördlichen Punkt dieser integrierten Festung bildet ein runder Wehrturm, der auf einer Felsnase steht und fast komplett aus dem Mauerwerk heraustritt. Ein interessantes Detail im Zusammenhang mit dem Donjon bildet der dreischiffige Festsaal (33 x 7 m), der für offizielle Anlässe genutzt wurde, allerdings für den heutigen Betrachter erst nach einer gewissen Zeit des Suchens und mit einem notwendigen Maß an klettertechnischer Raffinesse zugänglich ist. Innerhalb des gesamten Burggeländes weisen einige Spuren auf das Leben in der Anlage (Wohngebäude, Magazine, Werkstätten, Ställe, etc.) hin.
Der Tag im Norden Israels bot insgesamt ein sehr breites Spektrum an Eindrücken, die weit in die israeltische und darüber hinaus sogar bis in die kanaanitische Zeit zurückgingen und v.a. anhand der ausgegrabenen Toranlagen tatsächliche Verbindungen zwischen Steinen und Texten aufwiesen und von daher religionsgeschichtliche Vorbedingungen für das Verständnis neutestamentlicher Texte boten. Andererseits erhielten wir über die Betrachtung der Kreuzfahrerarchitektur - Nimrod lässt sich aufgrund der Naturbelassenheit der Steine wohl als Kulminationspunkt der unendlich vielen Beispiele im ganzen Land klassifizieren - einen sichtbaren Beleg für einen konkreten Teil der Wirkungsgeschichte der neutestamentlichen Texte.
Der letzte Tag der Reise bot noch einen besonderen Höhepunkt: Der Besuch in Caesarea Maritima ermöglichte es uns, die bisher noch ausgelassene Mittelmeerküste anzusteuern; drüber hinaus erweist sich diese Stadt aufgrund der vielfältigen archäologischen Angebote noch einmal als aussagekräftige Station im Blick auf die für uns interessanten historischen Rahmenbedingungen.
Selbst wenn für den ersten Eindruck des Betrachtens sehr stark die Kreuzfahrerarchitektur im Mittelpunkt steht (wie etwa die massiven Stadtmauern oder der Kreuzfahrerhafen), lassen verschiedene Details erahnen, dass Caesarea in der neutestamentlichen Zeit bzw. für das frühe Christentum von großer Bedeutung war. Unter Herodes dem Großen wurde die Stadt zwischen 22 und 10 v.Chr. zur schönsten und prächtigsten Hafenstadt entlang der Mittelmeerküste ausgebaut, die er seinem Gönner Augustus zu Ehren Caesarea Maritima nannte. Die bereits weiter oben einige Male angedeutete Baukunst des Herodes ist beispielsweise an den Überresten der riesigen künstlichen Akropolis zu erahnen, die er errichten ließ, da es keine natürliche Anhöhe für einen Tempel und einen Palast gab. Des weiteren erbaute Herodes ein freistehendes Theater im südlichen Teil der Stadt, dass etwa 4000 Zuschauern Platz bot; dieses älteste in Israel gefundene Theater ist heute restauriert und steht in den Sommermonaten für Musikveranstaltungen zur Verfügung. Im NordOsten der Stadt befand sich ein Amphietheater (etwa 250 x 50 m) mit 12 Sitzreihen und 10000 Plätzen, ganz im Osten ein riesiges Hippodrom (320 x 80 m), das ca. 200000 Zuschauer fasste.
Eindrucksvollstes Zeugnis dieser Zeit sind allerdings zweifellos die beiden Aquädukte, die sich außerhalb der Stadtmauern etwas weiter im Norden befinden: Über den Hohen Aquädukt, von dem noch 28 Bogen aus den Sanddünen herausragen, ließ Herodes aus Quellen der südlichen Karmelausläufer Trinkwasser in die Stadt leiten und überbrückte auf diese Weise eine Entfernung von 12 km, für die damalige Zeit eine nicht unerhebliche Entfernung, bedenkt man zusätzlich, dass sowohl die sumpfige Küstenlandschaft als auch eine Hügelkette überwunden werden mussten. Der Tiefe Aquädukt entstand zur Zeit Hadrians, hatte eine Lauflänge von 5 km und führte aus einem künstlich angelegten Staubecken in einem geschlossenen gemauerten Kanal Wasser in die Stadt, das überwiegend zur Bewässerung der Gärten und Felder genutzt wurde. Als Hafenstadt hatte Caesarea schon seit dem 4. Jh. v.Chr. eine wichtige Funktion als Handelsplatz. Herodes ließ den Hafen (Limen Sebastos) - den man heute vom Kreuzfahrerhafen aus nur noch erahnen kann - entsprechend seinen sonstigen Gepflogenheiten ausbauen (Außenhafen; 400 m langer Wellenbrecher; Innenhafen; Mole). Das Wirtschaftssystem zur Zeit Jesu war für uns auch thematischer Schwerpunkt in Caesarea: Neben den bereits in Kafarnaum problematisierten Notständen der Landbevölkerung ging es hier v.a. um die städtischen Möglichkeiten des Handels sowie um die ökonomischen Prinzipien des römischen Reiches, wie etwa die Geldwirtschaft oder das Abgabensystem. Zentrale Erkenntnis war der starke Antagonismus zwischen einer kleinen reichen Oberschicht und der großen ausgebeuteten Landbevölkerung. Das Verwaltungswesen der Römer mit Hilfe von Prokuratoren führt uns zu dem für den Bereich der neutestamentlichen Schriften bedeutsamen Namen Pontius Pilatus und einer letzten archäologischen Besonderheit: Inmitten einer Zusammenstellung besonderer archäologischer Details findet man einen Stein, der 1961 im Theater als wiederbenutzter Baustein entdeckt wurde und der die Aufschrift Tiberium, Pontius Pilatus, Praefectus Judaeae trägt. Es handelt offensichtlich um den einzigen archäologischen Nachweis der Residenz der Prokuratoren in Caesarea und damit um einen durchaus historisch nicht zu unterschätzenden Beleg für die Rahmenbedingungen unseres Arbeitsgegenstandes.
Nach dem Besuch in Caesarea Maritima steuerten wir noch Akko an, mussten allerdings unser Programm aufgrund der fortgeschrittenen Zeit sowie wegen der sich daraus ergebenden verschlossenen Türen bei den ausgewählten Bauwerken auf einen durch einige Spezialhinweise angereicherten Stadtbummel beschränken. Die besondere Funktion Akkos für die Kreuzfahrerzeit war Thema des Ortsreferates und aufgrund des aussagekräftigen Titels Der Letzte macht das Licht aus ein guter Abschluss unserer inhaltlichen Beschäftigung.
Am frühen Morgen des 4. Oktobers gegen 3.00 Uhr klingelten im Schweinestall von Tabgha mehrere Wecker und kündigten auf unliebsame Weise das Ende einer Reise an. Mehr oder weniger schlaftrunken begaben wir uns mit dem Bus - den übrigens über weite Strecken immer derselbe arabische Fahrer steuerte, der uns im Laufe der Zeit so ans Herz gewachsen war, dass wir ihn zum Abschied mit einer Flasche Arak bedachten - zum Flughafen nach Tel Aviv und von dort aus über Frankfurt zurück nach Münster.
Es war ein überaus anstrengendes, an manchen Stellen vielleicht aufgrund der Kompaktheit der ausgewählten Unternehmungen auch fast stressiges Unternehmen, das trotzdem bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Das geplante Ziel, nämlich dem alltäglichen Studium des Neuen Testaments und seines zeit und religionsgeschichtlichen Umfeldes im Hörsaal und am Schreibtisch einen visuellen und erfahrungsbezogenen Hintergrund beizusteuern, wurde nach meinem Ermessen in vollem Umfang erreicht. Dabei sind es gerade die völlig unterschiedlichen Komponenten, die dieses Gesamtbild zustande kommen lassen: Auf der einen Seite bietet die tatsächliche Korrespondenzen von Steinen und Texten (Qumran, Masada, Kafarnaum) einen eindrucksvollen Nachweis jener historischen Voraussetzungen und Bedingungen, die die Kommunikation über die uns vorliegenden biblischen Texte notwendig und teilweise sogar verstehbar machen. Auf der anderen Seite eignet aber auch den kommemorialen Traditionen (vgl. v.a. den Ölberg und die Grabeskirche) in ihrer wirkungsgeschichtlichen Relevanz für den heutigen Betrachter ein gutes Stück Verstehenshilfe im Umgang mit jenem zweiteiligen Grunddokument christlichen Glaubens, sei es auf einer wissenschaftlichen oder auf einer eher persönlich-spirituellen Ebene.
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Stegemann, Ekkehard W. / Stegemann, Wolfgang: Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1995.
Talmon, Shemaryahu (Hrsg.) (1998): Die Schriftrollen von Qumran. Zur aufregenden Geschichte ihrer Erforschung und Deutung, Regensburg: Pustet 1998.
Thoma, Clemens: Art. Abraham, in Petuchowski, Jakob J. / Thoma, Clemens: Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, Freiburg-Basel-Wien: Herder 1990, 3-8.
[ 1 ]
Wir entwickelten zusammen einen recht ausführlichen Reader mit Texten zu den biblischen, historischen und archäologischen Grundlagen jeder einzelnen Station unserer Reise, der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Ort als Leitfaden diente. Auf diese Laufmappe konnte ich bei der Erstellung dieses Nachtrags einige Male gewinnbringend zurückgreifen.
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Dabei ging es um eine räumliche Annäherung an Israel/Palästina, um eine Einführung in die Terminologie und die praktische Vorgehensweise der Archäologie, um die für den Laien zunächst sehr komplex wirkende Einteilung in unterschiedliche historische Perioden sowie nicht zuletzt um die Problematisierung der Hintergründe und Ziele einer Israel/Palästina-Archäologie. Vgl. dazu als einführende Literatur Keel / Küchler (1982) 348-378; vgl. auch Fritz (1985).
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Diese Sitzung hatte folgende Schwerpunkte: 1. "Von der Kultzentralisation des Joschija bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels" (Vortrag: Prof. Dr. Karl Löning); 2. Texte zum "Schicksal Jerusalems" in hellenistischer und römischer Zeit (Vertiefung zweier spezieller Epochen); 3. Von den Byzantinern bis zum modernen Staat (Jerusalem unter den Byzantinern; Jerusalem in früharabischer Zeit; Jerusalem unter der Herrschaft der Kreuzritter; Vom Rand der Welt ins Zentrum des Interesses; Jerusalem zur Zeit der Mamelucken und Osmanen).
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Einen guten Einstieg in die Problematik gibt z.B. Raheb (1994); Krupp (1992); Oz (1984).
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Wir müssen hier eine Auswahl aus dem sehr kompakten Programm der Reise treffen.
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Vgl. dazu die Beschreibung bei Röwekamp (21995) 228-238. Dieses Buch scheint mir momentan der beste, weil theologisch sehr präzise gearbeitete literarische Wegweiser für eine Erkundung des Heiligen Landes zu sein.
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Zur Einführung in die architektonische Kunst der Bauwerke vgl. Röwekamp (21995) 228-233.
[ 8 ]
Vgl. z.B. Kuschel (1994).
[ 9 ]
Vgl. Thoma (1990).
[ 10 ]
Vgl. dazu auch den Vorschlag einer 'abrahamischen Ökumene' bei Kuschel (1994) v.a. 248-306, der sicherlich sowohl auf seine theologischen Grundoptionen wie auch auf die mögliche Beurteilung aus der Sicht der drei beteiligten Religionen genau zu prüfen ist.
[ 11 ]
Vgl. Löning (1993).
[ 12 ]
Ob es sich bei dem nahe am Einstieg in das Wadi plazierten Gebäude mit der Hinweistafel 'Inn of the good Samaritan' tatsächlich um jene Herberge handelt, die innerhalb des zweiten Teils des Textes als räumliches Zentrum fungiert, ist wohl mehr als zweifelhaft. Vgl. dazu z.B. die Spekulationen von Gorys (1984) 178f: Das jetzige Gebäude entstand zwar erst 1903, die antiken Mauerreste im Hof wiesen allerdings darauf hin, daß hier schon zur Zeit Jesu eine Herberge gestanden haben könnte.
[ 13 ]
Vgl. dazu einführend Angenendt (1990) 401-419.
[ 14 ]
Vgl. hierzu Röwekamp (21995) 146-148.
[ 15 ]
Vgl. Röwekamp (21995) 149.
[ 16 ]
Hier variieren die Angaben in der Literatur.
[ 17 ]
Gorys (1984) 179 erklärt dies folgendermaßen: "Nachdem im Jahre 614 die Perser Jerusalem erobert hatten, ermordeten fanatische Juden die Mönche, deren Gebeine - zu einem großen Haufen aufgestapelt - noch heute in einer Grotte zu sehen sind."
[ 18 ]
Vgl. Löning (1990) 67-71.
[ 19 ]
Einen guten Einblick vermittelt das kleine Kompendium von Talmon (1998), das aus unterschiedlichen Blickwinkeln eine erste Bilanz nach fünfzig Jahren Forschungstätigkeit zusammenstellt. Vgl. auch das lesenswerte Themenheft Welt und Umwelt der Bibel 3 (1998), in dem ein sehr anschaulicher Übersichtsplan die einzelnen Ausgrabungen und darüber hinaus eine möglichen Überblick über die Struktur der Siedlung ausweist. Eine lesenswerte Dokumentation gerade für Einsteiger bietet auch Schick (1998).
[ 20 ]
Das Terrain befindet sich ca. 1,5 km entfernt vom Westufer und ca. 5 km vom Nordufer des Toten Meeres entfernt und besteht in seiner Grundsubstanz aus Kalk und Mergel.
[ 21 ]
Zwischen dieser Schlucht und der Analge sorgte ein Höhenunterschied von ungefähr 200 Metern für das entsprechende Gefälle.
[ 22 ]
Vgl. Hidrioglou (1998).
[ 23 ]
Vgl. Hidrioglou (1998) 29.
[ 24 ]
Vgl. Schick (1998) 76.
[ 25 ]
Vgl. zum Folgenden: Blecker (1998). Dieser Aufsatz ist gewissermaßen im Anschluß an die Exkursion entstanden!
[ 26 ]
Vgl. Blecker (1998) 38.
[ 27 ]
Vgl. Blecker (1998) 37.
[ 28 ]
Vgl. noch einmal Blecker (1998) 26-32.
[ 29 ]
Vgl. dazu im Blick auf entsprechende Passagen aus dem lukanischen Doppelwerk Ayuch (1998).
[ 30 ]
Vgl. dazu auch Röwekamp (21995) 71-74.
[ 31 ]
Vgl. dazu z.B. Gorys (51986) 444.
[ 32 ]
Zum eigenartigen Lebenslauf des Flavius Josephus und der damit zusammenhängenden Bewertung seiner Berichterstattung vgl. u.a. Röwekamp (21995) 77f.
[ 33 ]
Vgl. die genaue Aufstellung der römischen Lager bei Gorys (51986) 448.
[ 34 ]
Bei Ausgrabungen in den Jahren 1963-1965 wurde eine Tonscherbe gefunden mit der Aufschrift Ben Yair. Röwekamp (21995) 79 drückt eine mögliche Schlußfolgerung zurecht mit der notwendigen Skepsis aus: "Sollte es sich um eine der Scherben handeln, mit denen die zehn Männer auslosten, wer von ihnen der letzte sein sollte?"
[ 35 ]
Ein übersichtlicher Plan der Anlage findet sich etwa bei Keel / Küchler (1992) 380.
[ 36 ]
An einer anderen Stelle fand man hebräische Fragmente des Jubiläenbuches und mutmaßt aufgrund der Tatsache, daß weitere Fragmente dieses Buches nur in Qumran gefunden wurden eine mögliche Verbindung zwischen den Zeloten auf Masada und den Mitgliedern der Qumrangemeinde.
[ 37 ]
Ausführliche Beschreibungen der einzelnen Details innerhalb der Grabeskirche (mit entsprechenden Plänen) finden sich bei Gorys (21986) 99-106 sowie bei Röwekamp (21995) 188-195.
[ 38 ]
Vgl. zu den Texten etwas ausführlicher Röwekamp (21995) 199ff.
[ 39 ]
Die Geschichte der Kirche bzw. Moschee können wir paradigmatisch für die anderen Bauwerke auf dem Ölberg andeuten: Im Jahre 383 stand an der Stelle der heutigen Himmelfahrtskirche eine oktonale Portikusanlage mit einem Durchmesser von 41 m. Südlich davon stießen Franziskanerarchäologen auf ein Martyrion, das die Pilgerin Melanis im Jahre 438 erbauen ließ. Mehrere Klöster schlossen sich nach Süden und Westen an. 614 fielen die Bauten auf dem Ölberggipfel dem Persereinfall zum Opfer. Um 670 wurde das Oktogon wieder aufgebaut 1009 durch Sultan el-Hakim aber wieder zerstört. Die Kreuzfahrer errichteten die Himmelfahrtskapelle um das Jahr 1252 über dem Stein mit dem 'Fußabdruck des Herrn', der noch heute unter einer Glasplatte gezeigt wird. Ein stark befestigtes Augustinerkloster umgab zu dieser Zeit den Himmelfahrtsschrein. 1187 ließ Saladin das Kloster abreißen, den Schrein wandelte er in islamisches Heiligtum mit Moschee um. Die christlichen Konfessionen dürfen einmal im Jahr einen Gottesdienst (Christi Himmelfahrt) feiern, die östlichen Kirchen verrichten ihre Gottesdienste im Hof.
[ 40 ]
Der Bau der Säulenhallen steht im Zusammenhang des Tempelneubaus durch Herodes den Großen (37-4 v.Chr.). Dabei entstanden vier Säulenhallen, die die Anlage umgaben sowie eine fünfte, die quer über dem Teich die Trennmauer der beiden Zisternenteile trenn-te.
[ 41 ]
Vgl. dazu etwa Gorys (21986)73-75.
[ 42 ]
Vgl. zum Folgenden Löning / Zenger (1997) 119-134.
[ 43 ]
Löning (1997) 127.
[ 44 ]
Löning (1997) 127.
[ 45 ]
Zu den markinischen Brotgeschichten vgl. Sand (1998).
[ 46 ]
Über dies bringt man die in Joh 21 erzählte dritte Erscheinung des Auferstandenen mit diesem Ort in Verbindung.
[ 47 ]
Vgl. dazu Gorys (21986) 304 sowie Röwekamp (21995) 162. Beide weisen auf den Bericht der Pilgerin Aetheria (Ende des 4. Jahrhunderts) hin: "Über dem See gibt es eine Wiese; sie hat viel Gras und viele Palmenbäume. Bei diesen liefern sieben Quellen reichlich Wasser. Auf diesem Feld hat der Herr mit fünf Broten und zwei Fischen das Volk gesättigt, Fürwahr, der Stein, auf den der Herr das Brot legte, ist zum Altar geworden. Von diesem Stein nehmen jetzt die Besucher Stückchen weg für ihre Gesundheit, und es nützt allen."
[ 48 ]
Zur Geschichte sei soviel gesagt: Bereist um 350 entstand hier auf Veranlassung Konstantins eine Kirche, die den 'heiligen Stein' beherbergte, auf den Jesu die Steine gelegt gaben soll; sie fiel allerdings 419 einem Erdbeben zum Opfer. Mitte des 5. Jahrhunderts entstand auf den Trümmern eine neue Kirche, die bereits annähernd die Grundrisse des heutigen Bauwerks hatte. Nachdem diese Kirche im Zuge des Persereinfall 614 zerstört wurde, blieb es eine ganze Zeit ruhig um den Ort der Brotvermehrung, bis 1887 der Deutsche Verein vom Heiligen Land das Terrain erwarb, die Reste der letzten Kirche ausgraben ließ und zunächst eine Notkirche über den Mosaiken sowie ein Kloster errichten ließ. Zu Beginn der achtziger Jahre entstand dann auf den auf den Fundamenten der Kirche aus dem 5. Jahrhundert die heutige Kirche.
[ 49 ]
Röwekamp (21995) 154.
[ 50 ]
Zur Geschichte der Stadt vgl. Gorys (21986) 309.
[ 51 ]
Einen Hinweis auf Lage gibt das Bruchstück einer Säule, das man in der Nähe gefunden hat und das offensichtlich einen Teil einer römischen Meilensäule darstellt, die wiederum die alte Hauptstraße des Landes kennzeichnete.
[ 52 ]
Vgl. die entsprechenden synoptische Parallelen.
[ 53 ]
Daß sich dieser Ort an einer äußerst fruchtbaren und landschaftlich reizvollen Stelle des Sees befand, bestätigt zudem ein kurzer Hinweis bei Flavius Josephus. Vgl. BellJud III 10,8: 'Der Boden bringt die verschiedenen Obstsorten nicht bloß einmal im Jahr, sondern fortwährend hervor. So liefert er die königlichen Früchte, Weintrauben und Feigen, zehn Monate ohne Unterbrechung, während die übrigen Früchte das ganze Jahr hindurch reif werden. ZU dem milden Klima gesellt sich die Bewässerung durch eine sehr kräftige Quelle, die von den Eingeborenen des Landes Kapharnaum genannt wird'.
[ 54 ]
Die Datierung war lange Zeit umstritten: Zunächst setzte man lange Zeit aus stilistischen Gründen auf eine Datierung ins 2./3. Jahrhundert. Erst die unter dem Fußboden der Synagoge gefundenen Münzen machten eine Datierung in das 4. Jahrhundert wahrscheinlicher.
[ 55 ]
Vgl. dazu als Basisliteratur etwa Bösen (1985; Malina (21993); Stegemann / Stegemann (1995).
[ 56 ]
Vgl. Malina (21993) 88-113 sowie Stegemann / Stegemann (1995) 58-94.
[ 57 ]
Vgl. etwa Gen 14,14; 30,6; 49,16f; Jos 19,47; Ri 18; 20,1; ! Sam 3,20; 2 Sam 3,10; 17,11; 1 Kön 12,29f; Jer 4,15; 8,16; Am 8,14.
[ 58 ]
Zur Bebauung und Bedeutung der Stadt Dan vgl. Fritz (1990) 62f.
[ 59 ]
Vgl. Fritz (1990) 62.
[ 60 ]
Vgl. auch Am 18,14.
[ 61 ]
Vgl. die zahlreichen Hinweise bei Giesen, Heinz: Art. Tür, in: Münchener Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 356f.
[ 62 ]
Mit pu/lh werden weiterhin das Tor des Tempels (Apg 3,10) und das Gefängnistor (Apg 12,10) sowie die Hadespforten (Mt 16,18) bezeichnet. Vgl. dazu insgesamt Kratz, Reinhard: Art. pu/lh, in: EWNT III 474-476.
[ 63 ]
Die angedeuteten semantischen Gehalte des Begriffs qu/ra müßten natürliche vertieft werden und bieten im Blick auf die unterschiedlichen Texte ein viel differenzierteres Bild; vgl. dazu Giesen, Art. 'Tür' 357-359 sowie Kratz, Art qu/ra, in: EWNT II 398.
[ 64 ]
Ein lesenswertes Zeugnis von diesem Ort gibt Flavius Josephus, BellJud I 21,3: 'Hier steigt ein Berg in eine schwindelnde Höhe auf, und neben der unten am Berg befindlichen Schlucht öffnet sich eine düstere Grotte, in der sich ein Abgrund in unermessliche Tiefe hinabsenkt, der mit stehendem Wasser angefüllt ist. Will man mit dem Senkblei die Tiefe aus-loten, so reicht keine noch so lange Schnur aus. An den äußeren Rändern der Grotte, ganz unten entspringen die Quellen; einige sind der Ansicht, es handle sich um die Jordanquellen'.
[ 65 ]
Sie verehren an einem auf halber Höhe des Berges gelegenen Ort den El-Kadr, den grünen Propheten.
[ 66 ]
Die Geschichte dieser Stadt beginnt mit den Sagen um Nimrod, dem biblischen Städtegründer und Jäger (vgl. Gen 10,9), einem Urenkel des Noah. Gorys (21986) 355 erzählt folgende Legende der Drusen: "Nimrod habe auf dem hoch über Banyas gelegenen Plateau eine riesige Burg erbaut, von der aus er seine Pfeile in den Himmel schoß, um Gott seine Macht zu beweisen. Der Allmächtige aber sandte eine Fliege, die durch Nimrods Nase in dessen Gehirn kroch und dort solange nagte, bis der eitle König unter furchtbaren Schmer-zen starb. Darauf übernahm die Fliege (hebräisch Zebub) die Herrschaft über die Burg, die fortan Zubeiba (Subeibe) hieß. Qual'at Subeibe bedeutet also 'Fliegenburg'"
[ 67 ]
Zur Geschichte der Burg vgl. Gorys (21986) 355.
Originaladresse:
http://www.bibfor.de/archiv/00-1.leinhaeupl-wilke.htm