Zeitschrift für Theologie aus biblischer Perspektive • ISSN 1437-9341
Dagmar Stoltmann, Münster
Die Jerusalem-Verheißung
Informationen zur Autorin | Ausgabe 1/1998 |
Gott hat ein Tattoo, er ist tätowiert!
Diese Aussage mag durchaus verwundern, aber sie folgt Jes 49,14ff.: „Und Zion sagt: JHWH hat mich verlassen, mein Herr hat mich vergessen.“ JHWH antwortet: „Vergißt etwa eine Frau ihren Säugling, erbarmt sich nicht dem Sohn des Leibes? Wenn auch diese vergessen, ich aber vergesse dich nicht. Siehe: auf die Handflächen habe ich dich gezeichnet, deine Mauern sind mir beständig gegenwärtig.“ JHWH hat sich seine Stadt in die Hände tätowiert. Die Metapher des in die Hand gezeichneten Abbildes deutet auf eine innige Liebe JHWHs zu Zion-Jerusalem hin, da man sich wohl nur etwas sehr Wertvolles eintätowieren läßt, besonders, wenn es sich beim Ort der Tätowierung um die Hand handelt.
Als noch eindrucksvoller erscheint dieses Bild, berücksichtigt man die Tätowierungspraktiken einiger Nachbarvölker Israels: Diese schrieben sich den Namen ihres Gottes in die Hand. Dtjes schildert eine genau entgegengesetzte Situation: Nicht die Menschen drücken ihre Zuneigung zu ihrem Gott aus, JHWH läßt sich Zion unter die Haut gehen. Dieses Bild ist nur eines von vielen, die die Hl. Schrift für das besondere Verhältnis Gottes zu seiner erwählten Stadt bietet. Das kleine jebusitische Jerusalem und die darin befindliche Wehrburg Zion avanzieren im Laufe der Theologiegeschichte des Volkes Israels zu JHWHs Wohnsitz auf Erden. Besonders Dtjes aber wendet die Ehrenbekundungen, die Jerusalem und Zion zugesprochen werden, in die Sphäre des Persönlichen: Zu dem Bild vom tätowierten Gott gehört auch die Rede von einer einzigartigen Liebesbeziehung zwischen der Frau Zion und ihrem Gemahl, JHWH. Dieser weist Zion, so Jes 54,6, darauf hin, daß sie seine erste und ewige Liebe ist und bleibt. Auch die Tochter Zion wird in Jes 52,2 genannt, eine Tochter, die sich der Liebe des Vaters, der Erlösung Gottes, gewiß sein darf.
Alle Zion-Jerusalem Bilder wollen auf die besondere Beziehung zwischen Gott und seinem erwählten Volk hinweisen. Sie geben Israel, dem Volk Gottes, das sich verlassen, niedergeschlagen und schuldig fühlt, die Zuversicht, daß es sich auf die Zuwendung, die JHWH schenkt, vorbehaltlos verlassen kann. Die menschliche Zerknirschung und das mütterliche Erbarmen (Rechamim) Gottes fließen in Zion und Jerusalem zusammen. Zion und Jerusalem behalten aber diese Gottesvergebung und Gottesnähe nicht für sich, sondern fungieren als Vermittlerinnen des Heils, als Verbreiterinnen der Frohen Botschaft, indem an ihnen Gottes Licht für die Welt sichtbar wird. Um auf das Bild von Gottes Tattoo zurückzukommen, kann man vielleicht sagen, daß in dieser Tätowierung nicht nur Zion-Jerusalem zu sehen ist, sondern besonders auch Gottes Liebe zu seinem erwählten Volk. In nachexilischer Zeit treten stark universalistische Züge zur Zionsbotschaft hinzu: Der Heilswille Gottes wird mithilfe der Zionsmetaphorik allen Völkern zugesprochen: In Psalm 87,5 heißt es, daß in Zion alle Menschen geboren sind. Die LXX spricht hier sogar von Zion als Mutter aller. Zion kann mit Psalm 87 als das eine Woher der Menschheit bezeichnet werden. Dieses eine Woher wird im Bild der Völkerwallfahrt zum Zion in Mi 4 und Jes 2 ausgeweitet als das eine Woraufhin aller Menschen. Das eschatologische Volk aus den Völkern, das den einen JHWH als seinen Gott verherrlicht, entsteht so am Ende der Tage als und mit Zion als Ort und Volk Gottes.
Zion-Jerusalem in ersttestamentlicher Perspektive ist trotz dieser stark metaphorischen Konzeptionen keine entrückte Größe. Das Jerusalem der Propheten existierte in Stein und Staub der Hauptstadt Judäas wie in Fleisch und Blut seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Man erwartete das Kommen der Heilszeit in dieser Zeit, nicht in der Ewigkeit. Für Jerusalem, die Stadt und Wohnung Gottes, stand die Renovierung unmittelbar vor der Tür.
Diese Diesseitsperspektive wurde erst im spätapokalyptischen Zeitalter verlassen. Die politischen Gegebenheiten ließen es immer unwahrscheinlicher erscheinen, noch an eine Zukunft eines nur irdischen Jerusalems zu glauben. Heidnische Herrscher, die das Heiligtum mit heidnischen Göttern entweihten, Hohepriester, die keine waren, ließen den Glanz der Heiligen Stadt verblassen. Die Vorstellung, der irdische Zion sei der Ort der Gottesbegegnung und der endzeitlichen Geschehnisse, wurde aufgegeben, denn hier sahen viele nur noch Frevel und Lästerung. Statt dessen hielten Bilder vom himmlischen Jerusalem, von der Stadt, die vom Anbeginn der Zeiten bei Gott weilt, die mit oder durch den ersehnten Messias auf die Erde kommen würde, die Hoffnung auf ein zukünftiges Leben wach. Zwischen dem irdischen und dem himmlischen Jerusalem besteht dennoch ein untrennbares Band, da das himmlische Jerusalem die entscheidenden Attribute vom irdischen ererbt hat. Das irdische wie später das himmlische Jerusalem implizieren die Ursehnsucht des Volkes Gottes: Für immer und ewig in der Nähe Gottes wohnen zu können. Diese Nähe bedeutet das Ende von Krankheit und Trauer, von Hunger und Ungerechtigkeit, bedeutet das Ende des Todes. Dieses Jerusalem hat Gott in seinem Tattoo immer vor Augen.
Ist diese Jerusalem-Verheißung aber auch für uns Christen und Christinnen gültig? Um dieser Frage nachgehen zu können, möchte ich ganz kurz einen Blick auf das Neue Testament werfen. Die Jerusalemthematik ist in den einzelnen Schriften des NT sehr unterschiedlich behandelt. Bei Mk und Mt tritt die Stadt Jerusalem – als Ort der Ablehnung Jesu – hinter Galiläa zurück. Joh beschreibt Jerusalem eher ambivalent als Ort der Lehre aber auch als Schauplatz der Nichtannahme Jesu. Allein Lk wie die Apg operieren mit einem fast durchgängig positiven Jerusalembegriff. Für beide Schriften kann gezeigt werden, daß Geschehnisse, die für das Leben und Wirken Jesu Christi entscheidend sind, in Jerusalem verortet wurden. Besonders der Anfang von Lk macht deutlich, daß der Verfasser sehr bewußt die Verheißungen, die traditionell mit Jerusalem, als dem Ort des vollkommenen Heils assoziiert werden, aufgreift, um diese Verheißungen mit der Person Jesu zu verknüpfen. So erscheint Jesus in Lk 19,11 meines Erachtens als der in Jes 52,7 verheißene Freudenbote, der Jerusalem Friede, Rettung und das Gute schlechthin bringt. Im Laufe von Lk stellt sich dann heraus, daß Jesus diese Freudenbotschaft nicht nur verkündet, sondern sie selber ist. Lk macht deutlich, daß das, was für und von Jerusalem erhofft wurde, sich in Jesus Christus erfüllt hat. Gleichzeitig geht Jerusalem in Jesus Christus nicht auf, sondern bleibt eigenständige Größe, die Heil empfängt und weitergibt. Bei Lk ist in Jesus Christus das eschatologische Jerusalem nach Jerusalem gekommen und erreicht von dort den ganzen Erdkreis.
Für andere Texte des NT waren besonders die apokalyptischen Vorstellungen von Jerusalem maßgebend: Der Verfasser der Offb erwartet das Kommen der Heilszeit, die mit dem Kommen des Messias angebrochen ist, nicht in den Mauern der palästinischen Hauptstadt. Im 21. Kap. seines Werkes zeichnet er das Bild der neuen Stadt, die vom Himmel herabsteigt, der Stadt, in der Gott und das Lamm unter den Menschen – für immer – wohnen, wo der Tod auf immer beseitigt und alle Tränen für immer abgewischt sein werden. Auch das 12. und 13. Kapitel von Hebr greifen eher apokalyptisch-geprägte Jerusalemtopoi auf: Explizit wird darauf hingewiesen, daß die zukünftige Stadt zu suchen ist, sich dem himmlischen Jerusalem zuzuwenden. Im Hebr wie in der Offb ist Jerusalem Ort der zukünftigen Gottesnähe, einer Gottesnähe, die in und durch Jesus Christus ermöglicht wird und so auch schon gegenwärtig geworden ist. Um auf die eingangs gestellt Frage, ob die Jerusalem-Verheißungen in christlicher Perspektive gültig bleiben, zurückzukommen, darf mit einem beherzten jaein geantwortet werden: Die oben genannten Schriften des NT artikulieren ihren Glauben und ihre Hoffnung mit Hilfe der ersttesamentlichen Bedeutungsinhalte Jerusalems. Der alles entscheidende Unterschied zwischen dem ersttestamentlichen und dem ntl. Bild von Jerusalem ist jedoch Jesus Christus. Für den christlichen Glauben ist das irdische Jerusalem bedeutungslos geworden. Er kann ausschließlich an den theologisch-eschatologischen Komponenten, die Jerusalem prägen, anknüpfen.
Und dennoch hatte und hat gerade das irdische Jerusalem eine große Anziehungskraft für Christinnen und Christen. Man begab und begibt sich in das irdische Jerusalem, mit der Hoffnung, Gott dort näher kommen zu können. Diese Hoffnung, die die ersten christlichen Pilger und Pilgerinnen mit in die Hl. Stadt brachten, wurde sicherlich von Theologen wie Eusebius von Caesarea genährt, der in seiner Vita Constantini die von Kaiser Konstantin erbaute Anastasis das „Neue Jerusalem“ nennt. Eusebius beschriebt dieses Gotteshaus mit Bildern, die der Offb entnommen sind. Für den Kirchenhistoriker war in der Auferstehungskirche ein Stück Himmel auf die Erde gekommen.
Besonders ausgeprägt war in der Zeit der Frühen Kirche auch die Neigung, ein Stück von Jerusalem, ein Stück Verheißung, mit nach Hause nehmen zu wollen. Egeria beschreibt in ihrem Reisebericht, der während ihrer Pilgerfahrt ins Hl. Land gegen Ende des 4. Jh. entstand, daß Diakone das wiederentdeckte hl. Kreuz während der Anbetung stark bewachen mußten, weil es häufiger vorgekommen war, daß Pilger sich, anstatt das Kreuz verehrend zu küssen, ein Stück Holz herausgebissen hatten.
Es darf wohl noch immer von Jerusalem im heutigen Israel/Palästina gesagt werden, daß diese Stadt eine Stadt tiefer Sehnsucht ist, eine Stadt, von der man sich Einsicht und Vertiefung des Glaubens erhofft. Diese Sehnsucht geht auch heute noch so weit, daß das irdische Jerusalem als eine Art Sprungbrett für das himmlische fungieren soll: David McPhail, ein einstmals jüdischer heute christlicher „Seher“, prophezeit derzeit in Israel/Palästina, daß zur Jahrtausendwende das irdische zum himmlischen Jerusalem werde.
Bei allem Verständnis dafür, daß Menschen sich auf Pilgerfahrten, auf der Suche nach Fußstapfen Gottes in dieser Welt befinden, daß Menschen mit allen ihren Sinnen glauben, muß aus christlich-theologischer Perspektive entschieden eingewandt werden, daß Jerusalem in Jerusalem nicht sichtbarer wird als in jeder anderen Stadt. Die Reise nach Jerusalem stellt sich als eine andere dar. Wie einige frühchristliche Theologen sich diese andere Reise nach Jerusalem vorstellten, möchte ich kurz beleuchten: Besonders Origenes entwirft eine Theologie, in der Jerusalem sehr facettenreich in Erscheinung tritt: Bei Origenes ist Jerusalem ein Hörsaal, eine Schule für die Seele: Der Alexandriner geht davon aus, daß die Seele des Menschen stetig zu Gott aufsteigt und darin Gott ähnlicher wird. Wenn diese Seele nun aber in ihrem irdischen Dasein nicht tugendhaft genug gelebt hat, wird sie auf dem Weg zu Gott nach Jerusalem gelangen und dort von höher stehenden Seelen unterrichtet. Und hier geschieht, was für alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Eldorado sein dürfte: Im Hörsaal Jerusalem wird man alles das erfahren, was man immer schon einmal wissen wollte – oder sollte.
In diesem Jerusalem ist alles das in dieser Welt nur stückweise und „im Spiegel“ Geschaute in größter Klarheit zu erkennen. Bemerkenswert erscheint hier, daß ausgerechnet Jerusalem Hörsaal der Seele sein soll: Origenes stellt – der griechischen Orthodoxie entsprechend – die Wichtigkeit des Denkens und den Erkenntnisprozeß als entscheidende Faktoren für das Gott-Ähnlich-Werden, ja für die Vergöttlichung des Menschen, die Theosis, heraus. Indem er die Gelehrsamkeit nach Jerusalem, dem Offenbarungsort schlechthin, verlegt, bringt er eine einzigartige Synthese zwischen dem erkenntisgeleiteten „Athen“ und dem offenbarungsschwangeren „Jerusalem“ zustande. Auch bei Origenes ist Jerusalem ein Metonym für die von Gott gewollte Nähe zu den Menschen: Neben vielen anderen Bildern bezeichnet Origenes die menschliche Seele als Jerusalem, als Schau des Friedens. Der Beiname „Schau des Friedens“ ist nicht originär originistisch, sondern geht auf Philo von Alexandrien zurück: Der jüdische Alexandriner geht davon aus, daß „Jerusalem“ etymologisch aus ra’ah (sehen) und Schalom (Friede) zusammengesetzt ist. Die Seele, die Gott, den wahren Frieden, anvisiert, ist Jerusalem, der Ort, in und an dem Gott wohnt. Die Seele-Jerusalem-Vorstellung des Philo wird von Origenes übernommen und ausgeweitet: Die eher mikrokosmische Nähe zwischen Gott und Mensch in der Jerusalem-Seele existiert bei Origenes neben einer makrokosmischen Dimension, der Jerusalem-Kirche, denn auch die Kirche wird bei Origenes Jerusalem genannt. Die Kirche kann deswegen Jerusalem genannt werden, weil sie aus Jerusalem-Seelen besteht. Hier muß aber in jedem Fall bedacht werden, daß Origenes nicht einfach die irdisch verfaßte, sündige Kirche Jerusalem nennt. Die Kirche ist nicht aus sich Jerusalem, aber dazu befähigt und angehalten, Jerusalem, Ort der Gottesnähe, zu werden, indem sie sich der Gegenwart des inkarnierten Logos bewußt wird und auf ihr himmlisches Dasein, das voll und ganz ein Jerusalem-Dasein sein wird, zubewegt.
Für Augustinus gilt nicht nur, daß er Jerusalem-Bilder in sein theologisches Konzept einbaut, für den Bischof von Hippo kann in seiner Hauptschrift „De civitate Dei“ eine regelrechte Jerusalem-Theologie konstatiert werden. Jerusalem erscheint bei dem Kirchenvater schon am Anfang der Schöpfung, denn es ist das „erste Licht“, das Licht schlechthin. Dieses erste Licht ist gleichzusetzen mit der Gemeinschaft der Heiligen, genauer mit der Gemeinschaft der Engel im Himmel. Unter diesen Engeln hat es, so Augustinus, einige gegeben, die von Gott abfielen, so daß die civitas der Heiligen unvollständig wurde. Und in diesem Abfall einiger Engel, lag und liegt die Chance für einige Menschen, zu der communio sanctorum zu stoßen. Die Menschen, die ihr Leben ganz nach Gott ausrichten, bilden schon auf Erden die civitas Dei, die Stadt Gottes, sie werden in der Endzeit mit den nichtgefallenen Engeln die civitas caelestis, das himmlische Jerusalem bilden. Auch Augustinus setzt die Kirche nicht einfach mit der civitas Dei, mit Jerusalem gleich. Die Kirche auf Erden bietet eher einen Ausblick auf Jerusalem als selbst schon Jerusalem zu sein. Gottes Tattoo wird also in der irdischen Kirche nur verschwommen sichtbar.
Neben Origenes und Augustinus wären noch zahlreiche andere Theologen der Frühen Kirche anzuführen, bei denen Jerusalem als theologische Größe eine maßgebliche Rolle spielt. Dem Tattoo Gottes wird in der Frühen Kirche demnach sehr viel Beachtung geschenkt.
Und wie steht es um Gottes Tattoo heute? Sollte dieses Bild verblaßt sein? Die moderne Theologie scheint so zu tun, als habe Gott sich eine biologische Tätowierung zugelegt, die mit der Zeit schwächer wird und somit nicht mehr beachtet zu werden braucht. Nach Dtjes aber scheint es sich bei Jerusalem um eine gottewigliche Tätowierung zu handeln, die wir allerdings ständig übersehen, denn von Jerusalem, der Stadt und Geliebten Gottes, ist in unseren theologischen Entwürfen so gut wie nichts mehr zu erkennen. An dieser Stelle kann ich nicht einzeln ausführen, welch’ sinnvolles Korrektiv eine Jerusalem-Perspektive für die christliche Gnadenlehre, Ekklesiologie und Eschatologie darstellt. Statt dessen versuche ich zusammenfassend nur einige wenige Gedanken anzuführen, die mir für eine christlich angemessene Rede von Jerusalem wichtig erscheinen.
Zunächst einmal sollte nicht vergessen werden, daß ein Noch-Nicht-Jerusalem existiert. Es gibt in dieser Welt sehr vieles, das in keiner Weise mit Jerusalem in Gottes Handflächen vereinbar ist. Gerade bei Dtjes erscheint Zion-Jerusalem zunächst als Opfer von Krieg und Ungerechtigkeit, als Person, die völlig ins soziale Abseits gedrängt ist. Diesem am Boden zerschmetterten Jerusalem wird Gottes Tätowierung vor Augen gestellt. An dieser verstoßenen Frau Zion wird evident, daß nicht der Mensch, sondern allein Gott Jerusalem erbaut. Wenn Jerusalem der Ort und die Möglichkeit ist, in der Gegenwart Gottes zu wohnen, so sind alle Menschen darauf angewiesen, sich diese Gegenwart schenken zu lassen. Noch deutlicher wird dieser Sachverhalt vielleicht im Rekurs auf Gottes Tattoo: Es ist nichts als Geschenk in Gottes Händen aufgezeichnet zu sein. Auf dem Tattoo Gottes sind aber nicht nur Christinnen und Christen zu erkennen. Die erste Tätowierung Gottes, das Volk Israel, hat nichts von ihrer Schönheit und Ausdruckskraft verloren. Diese erste Tätowierung Gottes hat die Kirche sich beständig vor Augen zu halten. Christinnen und Christen kommt die Ehrenstellung, zu Jerusalem gehören zu dürfen, durch Jesus Christus zu, der ihnen Jerusalem entgegengebracht hat und sie zugleich auf Jerusalem zubewegen läßt. Die inkarnierte Gottesnähe kommt ihnen entgegen, auf die vollkommene Gottesnähe bewegen sie sich zu, auf den allumfassenden Frieden, auf die endgültige Besiegung des Todes, kurz auf: Jerusalem.
Originaladresse:
http://www.bibfor.de/archiv/98-1.stoltmann.htm